Verlockend: Das Fehlverhalten anderer filmen und damit einen Beweis in der Hand haben, der einem eine bessere Position bei eventuellen Rechtsstreitigkeiten gibt – vor allem im Straßenverkehr. Doch welche Fragen – auch aus dem Bereich Datenschutz – stellen sich hier? Der BGH befasst sich aktuell mit der Frage der Verwertbarkeit solcher Aufnahmen im Rahmen von gerichtlichen Verfahren (Mitteilung der Pressestelle hier). Ein Urteil ist für den 15. Mai 2018 angekündigt. Hier ein Überblick:
Aktuelles Verfahren
Derzeit liegt dem BGH ein Fall vor, bei dem es um die Frage geht, ob mittels einer Dashcam gefertigte Videoaufnahmen in einem gerichtlichen – hier zivilprozessualen – Verfahren verwertet werden können. Dem Streit ging ein Verkehrsunfall voraus, bei dem zwei Fahrzeuge auf parallel verlaufenden Linksabbiegespuren seitlich kollidiert waren. Gestritten wurde unter anderem darüber, welches Fahrzeug seine Spur verlassen hatte. Der Kläger gab sich mit der lediglich 50%-igen Regulierung durch die gegnerische Versicherung nicht zufrieden und berief sich auf eine Zeugin sowie auf Aufzeichnungen seiner Dashcam, welche er im Auto installiert und die vom Geschehen ein Video aufgezeichnet hatte. In diesem Fall hatte das AG Magdeburg mit Urteil vom 19. Dezember 2016 (Az. 104 C 630/15) entschieden, dass Videoaufzeichnungen nicht als Beweismittel verwertbar sind. Eine sich anschließende Berufung vor dem LG Magdeburg brachte ebenfalls keinen Erfolg – dies wurde im Urteil vom 05. Mai 2017 (Az. 1 S 15/17) unter anderem mit einem Verstoß gegen § 6b BDSG (zukünftig § 4 BDSG (neu)) begründet. Die zugelassene Revision wird nun beim BGH unter dem Aktenzeichen VI ZR 233/17 geführt.
Was wiegt schwerer: Das Interesse an der Aufklärung eines Unfalls oder der Schutz persönlicher Daten?
Die Rechtsprechung ist sich uneinig
In der Rechtsprechung wird die Frage, ob mithilfe von Dashcams erstellte Videoaufzeichnungen in gerichtlichen Verfahren als Beweismittel verwertet werden können, unterschiedlich beantwortet. Es sind immer zwei Fragen zu stellen:
1. Ist die Aufnahme über eine Dashcam an sich zulässig?
2. Dürfen diese Aufnahmen als Beweismittel verwertet werden?
Der datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Aufnahme spielt bei diesen Fragestellungen eine entscheidende Rolle. Denn nur Beweismittel, die zulässig erhoben worden sind, sind später ggf. auch als solche verwertbar. Aufnahmen einer anderen Person berühren grundsätzlich das Recht am eigenen Bild (folgend aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) – hier wird der Bezug ins Datenschutzrecht gezogen, denn die Abbildung von Personen machen einen Personenbezug möglich und die Person damit bestimmbar (vgl. § 3 Absatz 1 BDSG, zukünftig Art. 4 Nr.1 DSGVO)). Die Aufnahme ist also als personenbezogenes Datum im Sinne des BDSG/DSGVO anzusehen. Sodann erfolgt ein Blick auf § 4 Absatz 1 BDSG (zukünftig Art. 6 Absatz 1 DSGVO) zur Zulässigkeit der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung. Bei Videoaufnahmen mittels einer Dashcam wird dann § 6b BDSG (zukünftig § 4 BDSG (neu)) interessant.
Die Frage der Beweisverwertung ist davon strikt getrennt zu betrachten, kann sich aber unter anderem auch auf datenschutzrechtliche Erwägungen stützen. Die Zulässigkeit und Verwertbarkeit der Aufnahmen spielte bislang zumeist in Zivilprozessen eine Rolle, aber auch in Straf- und Bußgeldverfahren. In der jüngeren Vergangenheit gab es bereits einige Entscheidungen zu dieser Frage (nicht abschließend):
Im Leitsatz eines Urteils des VG Göttingen vom 31. Mai 2017 (Az. 1 A 170/16) heißt es: „Die Aufzeichnung von Verkehrsverstößen anderer Verkehrsteilnehmer mit durch im eigenen PKW installierte On-Board-Kameras erfolgt weder für ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeiten (§ 38 Absatz 5 i.V.m. § 27 Absatz 1 Satz 2 BDSG (auch zukünftig ist die teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten ebenfalls vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgeschlossen, vgl. Art. 2 Absatz 2 lit. c DSGVO), noch ist diese Videoüberwachung nach § 6b Absatz 1 Nr. 3 BDSG (zukünftig § 4 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG (neu)) gerechtfertigt.“.
Das AG München entschied mit Urteil vom 09. August 2017 (Az. 1112 OWi 300 Js 121012/17): „Wer sein Kfz vorne und hinten mit Dashcams ausstattet, um Beschädigungen an dem Fahrzeug nachweisen zu können, und die Kameras fortlaufend in Betrieb hat und dauerhaft Videoaufzeichnungen des Verkehrsraums anfertigt, verhält sich wegen Verstoßes gegen das Datenschutzrecht ordnungswidrig. Denn er verarbeitet nicht öffentlich zugängliche personenbezogene Daten unbefugt. Es überwiegt das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung, hinter dem das Interesse des Betroffenen an der Aufdeckung einer potentiellen Straftat zurückstehen muss.“ (Leitsatz).
Anders entschied im Grundsatz das OLG Nürnberg in seinem Urteil vom 10. August 2017 (Az. 13 U 851/17). Darin heißt es im Leitsatz: „Die Verwertung von sog. Dash-Cam-Aufzeichnungen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle ist im Zivilprozess zulässig. Dies gilt jedenfalls für im Fahrzeug auf dem Armaturenbrett fest installierte Kameras, die in Fahrtrichtung, also nach vorne, ausgerichtet sind und bei Autobahnfahrten betrieben werden. Persönlichkeitsrechte des Unfallgegners sind durch diese Art von Aufzeichnungen, auf welchen konkrete Personen typischerweise nicht zu erkennen sind, üblicherweise in so geringem Ausmaß betroffen, dass bei der gebotenen Abwägung zwischen beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten einerseits und dem Anspruch auf rechtliches Gehör sowie dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes andererseits letztere regelmäßig überwiegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel im konkreten Fall nicht zur Verfügung stehen.“ Zudem seien bei der genannten Abwägung nur diejenigen Aufzeichnungsteile heranzuziehen, deren Verwertung konkret im Raum steht. Es komme nicht darauf an, welche Aufzeichnungen mit der Dash-Cam ansonsten bei anderer Gelegenheit gefertigt wurden.
Auch andere in der Vergangenheit liegende Entscheidungen zeigen keine eindeutige Tendenz in eine Richtung. Allerdings ist festzuhalten, dass es zumeist die selben Kriterien sind, die eine Verwertbarkeit scheitern oder gelingen lassen.
Es geht um Interessenabwägung und Anlassbezogenheit sowie die Art der Tat
Ausschlaggebend für die Entscheidungen war bislang insbesondere, ob dauerhaft und ohne Anlass gefilmt wird, ob Personen zu erkennen sind oder ob das Interesse an der Verwertbarkeit im konkreten Fall gegenüber dem Interesse des Gegenübers (regelmäßig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allg. Persönlichkeitsrechts, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) überwiegt.
In Entscheidungen, die die Verwertbarkeit verneinen (LG Heilbronn, Urteil vom 17. Februar 2015, Az. I 3 S 19/14; Amtsgericht München, Beschluss vom 13.08.2014, Az. 345 C 5551/14;LG Magdeburg, Urteil vom 05. Mai 2017, Az. 1 S 15/17) wird regelmäßig damit argumentiert, dass das Filmen für den Fall eines Unfalls und damit ohne konkreten Anlass sowie eine dauerhafte Aufnahme ohne konkreten Zweck mit Hinblick auf abzuwägende Interessen der Beteiligten nicht erforderlich gewesen sei. Es liege insoweit ein Verstoß gegen § 6b Absatz 1 Nr. 3 BDSG (zukünftig § 4 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG (neu)) vor.
Das LG Magdeburg hat in seinem Urteil klargestellt, dass der Straßenverkehr an sich gerade nicht dazu führt, dass eine erhöhte Gefährdungslage besteht und das Filmen deswegen anlasslos erfolgt ist (vgl. Rn. 17 des Urteils). Allerdings weist das Landgericht auch darauf hin, dass ein Verstoß gegen § 6b Absatz 1 Nr. 3 BDSG (zukünftig § 4 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG (neu)) nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, sondern die Interessen beider Parteien abzuwägen sind (vgl. Rn. 19 des Urteils). Hier führt auch das Amtsgericht München in seinem Beschluss vom 13. August 2014 aus: „Der Eingriff kann nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. […] Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann insbesondere durch konkurrierende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden. Als ein solches Grundrecht kommt hier das Interesse des Verwenders an einer fairen Handhabung des Beweisrechts in Betracht. […] Gleichwohl vermag es nicht generell das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu überwiegen. […]“.
Problematisch wird zudem angesehen, dass ein generelles Zulassen der Verwertbarkeit zu einer weiteren Verbreitung von Dashcams oder sogar standardmäßiger Ausstattung in PKW’s führen könnte. Was mit solchen Aufzeichnungen fernab von Gerichtsverhandlungen geschieht, ist jeder Kontrolle entzogen. Es wäre eine unfreiwillige Datensammlung gegeben, der sich jeder aussetzt, der sich in die Öffentlichkeit begibt (vgl. AG München, Beschluss vom 13. August 2014, Rn. 8).
Es gibt jedoch auch Stimmen in der Rechtsprechung, die eine Verwertbarkeit bejaht haben. Das OLG Stuttgart hat sich in seinem Beschluss vom 04. Mai 2016 für eine Verwertbarkeit von Videoaufnahmen ausgesprochen und diese Entscheidung bei der Frage der Abwägung der beiderseitigen Interessen auch auf den Umstand gestützt, dass es dort um die Ahnung einer Ordnungswidrigkeit und nicht einer Straftat gehe (Rn. 22 (1)). Zudem überwiege nach der Gesamtschau der Umstände das Interesse an der Effektivität der Verfolgung von erheblichem Fehlverhalten im Straßenverkehr. Eine Beweisverwertung sei allein von Verfassungs wegen nicht stets unzulässig – selbst wenn die Beweiserhebung rechtsfehlerhaft sei (Rn. 20 bb).
Das AG Nienburg entschied in einem strafgerichtlichen Verfahren (Urteil vom 20. Januar 2015, Az. 4 Ds 155/14) ebenfalls, dass Dashcam-Aufnahmen verwertbar sind – obgleich es trotzdem eine Frage des Einzelfalles ist. Das Gericht nahm Stellung sowohl zur Beweiserhebung als auch zur Beweisverwertung und bejahte zur Frage der Zulässigkeit in diesem Falle beides. Bei der Frage der Erhebung stützte sich das Gericht auf eine (nicht unmittelbar sondern nur entsprechende) Anwendung des § 28 Absatz 1 Nr. 1 BDSG (zukünftig Art. 6 Absatz 1 lit. b DSGVO) und nicht auf § 6b BDSG (zukünftig § 4 BDSG (neu)) und legte dar: „Der Betroffene verfolgt jeweils konkret abgegrenzte und bestimmbare vermögensbezogene Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.“ (unter III. (1) (bb)).
Die Abwägung der Interessen hat im Urteil des AG München vom 06. Juni 2013 ebenfalls eine Zulässigkeit der Verwertung ergeben – dies aus dem Grund, da sich die Interessenlage im Zeitpunkt eines Unfalls ändert und derjenige, der die Verwertbarkeit erreichen möchte und die Aufnahmen besitzt das von der Rechtsprechung anerkannte Interesse an der Beweissicherung hat. Das AG München geht darüberhinaus davon aus, dass es sozial anerkannt sei, wenn man zufällig bei Bildaufnahmen ins Bild gerät – ähnlich wie bei Urlaubsfotos.
Es wird eine Grundsatzentscheidung erwartet
Die vorangegangene Erörterung zeigt deutlich, dass eine klare Entscheidung durch den BGH notwendig ist – allein wegen der fortschreitenden Digitalisierung, die den Einzug von Dashcams im Straßenverkehr mit sich bringt und ausbreitet. Im Rahmen der zugelassenen Revision muss der BGH nun abwägen, ob das Interesse an der Aufklärung eines Unfalls oder der Schutz der persönlichen Daten schwerer wiegt. Ausschlaggebend können dabei die angesprochenen Punkte der Anlassbezogenheit, Interessenabwägung und die Art der Tat sein.
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