Dringlichkeit durch Zeitablauf? Ein Erfahrungsbericht

Wir  haben in den vergangenen Monaten einen Mandanten durch ein einstweiliges Verfügungsverfahren begleitet.

Die Besonderheit dieses Verfahrens:

Die Dringlichkeit/den Verfügungsgrund begründeten wir für unseren Mandanten mit fortschreitendem Zeitablauf und eben nicht damit, innerhalb einer vier-, sechs- oder acht-Wochen- oder Monatsfrist nach erster Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände einen Verfügungsantrag gestellt zu haben.

Während das Landgericht Frankfurt a.M. den Verfügungsantrag noch ohne zu zögern zurückwies, da bis zur Antragstellung zu lange zugewartet worden sei und auch nach Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht abhalf, terminierte das OLG Frankfurt a.M. zur mündlichen Verhandlung. In der mündlichen Verhandlung selbst erklärte der Vorsitzende Richter nur kurz und knapp, dass die Angelegenheit durch den weiteren Zeitablauf seit dem Zurückweisungsbeschluss des LG tatsächlich nur noch dringlicher geworden sei und bejahte damit den Verfügungsgrund.

Da die Angelegenheit vergleichsweise beendet wurde, gab und gibt es hierzu keine nähere Begründung des Senats. Die Bejahung der Dringlichkeit für sich genommen, ist jedoch bei diesem Sachverhalt eine prozessual ungewöhnliche Tatsache. Deshalb möchten wir an dieser Stelle unsere Argumentation zusammenfassen, auch wenn wir selbstverständlich nicht für uns in Anspruch nehmen, dass der Senat genau diesen Argumenten gefolgt wäre.

Zu den Hintergründen des Verfahrens (vereinfacht):

Die Parteien stritten um die Aufhebung der Blockade des Zugangs zu Datensätzen innerhalb einer Backup-Datei nach Einrichtung eines Passwortschutzes für diese Datei, der nach Auffassung des Antragstellers – unser Mandant – den Inhalten eines mit der Antragsgegnerin vor vielen Jahren abgeschlossenen Software-Lizenzvertrages widersprach. Ohne diese Datensätze sah sich der Antragsteller zur Migration der Daten aus dieser Software in eine andere, zukünftig zu verwendende Software außer Stande. Regelungen zur Migration der Daten oder einer Transformationsunterstützung sah der alte, von uns weder erstellte noch geprüfte Software-Lizenzvertrag nicht vor, so wie dies in vielen Altverträgen der Fall ist.

Davon, dass dieser Passwortschutz eingerichtet worden war, erhielt der Antragsteller erstmalig im September 2014 Kenntnis. Ab diesem Zeitpunkt verhandelte er mit der Antragsgegnerin über die Freigabe der blockierten Datensätze. Diese mussten nach Kündigung des Software-Lizenzvertrags bis spätestens zum Jahreswechsel 2015/2016 in eine neue Software migriert werden.

Warum war dies so wichtig? Die Software diente der Erfüllung aufsichtsrechtlich kontrollierter Meldepflichten , die ab dem Jahreswechsel nicht mehr hätten erfüllt werden können, wenn die in die alte Software eingespeisten, nach Ablauf des Lizenzvertrags nicht mehr zugänglichen Daten nicht zuvor vollständig in die neue Anwendung migriert worden wären. Hinzu kam, dass die Antragsgegnerin mit dem Jahreswechsel berechtigt gewesen wäre, die in die alte Software eingepflegten Daten zu löschen.

Zwar bot die Antragsgegnerin dem Antragsteller Unterstützung bei der Migration an, aber nur gegen zusätzliches Entgelt. Die kostenlose Freigabe der Backup-Dateien verweigerte die Antragstellerin. Die Parteien verhandelten und der Antragsteller bereitete parallel eine Migration auf Basis des ihm bekannten Dateiformates der Backup-Dateien vor.

Im Juli 2015 erfuhr der Antragsteller dann, dass die Daten, die die Antragsgegnerin bereit wäre ihm gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen, nicht mit den bereits getroffenen technischen Vorbereitungen für die Migration der Daten kompatibel gewesen wäre. Daraus wiederum ergab sich, dass eine Migration der Daten bis zum Jahreswechsel nur noch auf Basis der Backup-Daten selbst realistisch war. Der Verfügungsantrag richtete sich deshalb darauf, es der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zugang zu den Backup-Dateien zu blockieren, die der Antragsteller in die neue Software migrieren wollte.

Die Dringlichkeit begründeten wir für unseren Mandanten – den Antragsteller – wie folgt:

Der Antragsteller begehrte eine Leistungsverfügung und keine Untersagungsverfügung.

Voraussetzung für das Bestehen eines Verfügungsgrundes im Rahmen einer Leistungsverfügung ist, dass die Erlangung eines Titels im Hauptsacheverfahren nicht mehr möglich erscheint. Für den Beginn der Dringlichkeitsfrist kam es deshalb allein auf den Zeitpunkt der Erkenntnis an, dass eine rechtzeitige gerichtliche oder außergerichtliche Klärung oder Erledigung der Angelegenheit durch Vergleich voraussichtlich nicht mehr möglich ist. Daraus ergab sich nach unserer Auffassung im konkreten Fall wie im Allgemeinen, dass die Dringlichkeit bei einer Leistungsverfügung immer erst mit Zeitablauf entsteht.

Zwar hatte der Antragsteller bereits seit September 2014 Kenntnis davon, dass die Backup-Dateien durch das ihm unbekannte Passwort blockiert wurden. Dass die bis dahin geführten Vergleichsverhandlungen jedoch unter keinen Umständen noch dazu würden führen können, dass die zur Erfüllung aufsichtsrechtlicher Verpflichtungen benötigten Daten bis zum Jahreswechsel migriert werden könnten, erfuhr der Antragsteller erst im Juli 2015. Bis dahin hatte er stetig verhandelt und durfte damit rechnen, eine außergerichtliche Einigung erfolgreich herbeiführen zu können. Mithin konnte auch die Dringlichkeitsfrist nicht zu laufen beginnen, bevor der Antragsteller zu dieser Erkenntnis erlangte.

Diese Argumentation untermauerten wir für unseren Mandanten mit einem Urteil des OLG München vom 22.4.1999, Az. 6 U 1657/99, das im Ergebnis ebenfalls die Dringlichkeit mit einem näher rückenden Zeitpunkt bzw. einem bestimmten zu erwartenden Zustand verknüpfte und nicht allein mit dem Zeitablauf seit erster Kenntnis. Vorsorglich legte der Antragsteller dem Gericht darüber hinaus ausführlich die stetige Verhandlungsführung vom Zeitpunkt erster Kenntnis bis zur Antragstellung dar.

Die Bejahung der Dringlichkeit in dieser Angelegenheit ist vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung ein Erfolg und – aus juristischer Sicht – wäre eine Begründung dieser Entscheidung erfreulich gewesen. Als Anwälte unseres Mandanten hingegen freuen wir uns über den Erfolg in der Sache und teilen die Erfahrung als solche auf diesem Weg mit Ihnen.

Das Verfahren wurde gemeinsam von den beiden KREMER RECHTSANWÄLTE (vormals LOGIN Partners) Gründungspartnern Sascha Kremer (Schwerpunkt: Softwarevertragsrecht) und Jennifer Hort-Boutouil (Schwerpunkt: Prozessrecht) für den Mandanten geführt. Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie bei der Migration von einem zum anderen Dienstleister vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen.

Autorin: Jennifer Hort-Boutouil

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