Arbeitsgericht Hamburg: Online-Wahl des Betriebsrats ist nichtig

Das Arbeitsgericht (ArbG) Hamburg hat am 07.06.2017 (Az. 13 BV 13/16) durch Beschluss entschieden, dass eine mittels eines Online-Wahlverfahrens durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist.

Hintergrund des Urteils

Das ArbG hatte sich mit der Gültigkeit einer Betriebsratswahl zu befassen, bei der die Stimmabgabe sowohl durch eine Präsenz- und Briefwahl als auch durch ein Online-Wahlverfahren erfolgte. Den wahlberechtigten Personen wurden die Zugangsdaten für das Online-Wahlverfahren vorab per E-Mail zugesandt. Es wurden 740 gültige Stimmen mittels des Präsenz- und Briefwahlverfahrens abgegeben. 628 Stimmen wurden mittels des Online-Wahlverfahrens, dessen Grundlage eine vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizierte Software bildete, abgegeben.

Wie können Wählerstimmen bei der Betriebsratswahl abgegeben werden?

Der Betriebsrat wird gem. § 14 Abs. 1 BetrVG in geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt. Um dies zu gewährleisten, stellt die Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WO) bestimmte Anforderungen an die Stimmabgabe der Wahlberechtigten. § 11 Abs. 1 WO sieht die Präsenzwahl vor, die durch Abgabe des Stimmzettels in einem dafür vorgesehenen Wahlumschlag und Legen des Umschlags in die Wahlurne gekennzeichnet ist. §§ 24 Abs. 1, 25 WO sehen zudem die Möglichkeit der Briefwahl für die Wahlberechtigten vor, die zum Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit im Betrieb verhindert sind. Die so abgegebenen Stimmzettel werden ebenfalls in die Wahlurne gelegt. Durch dieses sog. Ein-Urnen-Prinzip soll verhindert werden, dass Rückschlüsse auf das Wahlverhalten der stimmberechtigten Personen gezogen werden können.

Wann ist eine Betriebsratswahl nichtig?

Eine Betriebsratswahl kann nur dann als nichtig gelten, wenn ein schwerwiegender Verstoß gegen die wesentlichen Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts vorliegt, sodass nicht mehr von einer den gesetzlichen Regelungen entsprechenden Wahl ausgegangen werden kann.

An die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl sind somit enge Voraussetzungen geknüpft, um die erforderliche Rechtssicherheit zu gewährleisten, ob der eingesetzte Betriebsrat in der gewählten Form bestehen kann (s. Richardi, Kommentar zum BetrVG, § 19 Rn. 78). Liegt ein Mangel bei der Betriebsratswahl offenkundig vor, trägt er also „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn“ (BAG vom 21.09.2011 – 7 ABR 54/10), kann nicht mehr von einer gültigen Wahl ausgegangen werden.

Online-Wahlverfahren mit den Bestimmungen der Wahlordnung vereinbar?

Das ArbG musste beurteilen, ob das Online-Wahlverfahren mit den Bestimmungen der WO, die zur Stimmabgabe getroffen wurden, vereinbar ist. Die WO enthält keine Grundsätze zu einer Stimmabgabe mittels eines Online-Wahlverfahrens. Im Fokus der Beurteilung stand, ob neben den festgelegten Stimmabgabemöglichkeiten auch Online-Wahlen als zulässige Abstimmungsmöglichkeit in Betracht kommen können.

Wortlaut der Wahlordnung

Mit Hilfe einer Betrachtung des Wortlauts der in der WO verwendeten Begriffe stellte das ArbG fest, dass die WO von einer schriftlichen Stimmabgabe in Form von einer Papierwahl ausgeht. Dazu zog das ArbG insbesondere die Begriffe „schriftliche Stimmabgabe“ (Überschrift vor § 24), „Wahlumschlag“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Nr. 1), „vorgedruckte Erklärung“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 4), „größerer Freiumschlag“ mit „Anschrift“ und „Absender“ (§ 24 Abs. 1 Nr. 5), „Verschließen des Wahlumschlages“ (§ 25 Nr. 1, Nr. 3), „Öffnen des Umschlags“ (§ 26 Abs. 1), „Unterschrift“ (§ 25 Nr. 2), „Legen des Wahlumschlags in die Urne“ (§ 26 Abs. 1) und „Briefumschläge“ (§ 26 Abs. 2) heran. Der Wortlaut sei somit eindeutig und abschließend. Eine extensive Auslegung der Begriffe, sodass neben Präsenz- und Briefwahlen auch Online-Wahlen möglich sein sollen, sei ausgeschlossen.

Ist die Wahlordnung nicht zeitgemäß?

Über die Wortlautbetrachtung hinaus stellte das ArbG weitere Anhaltspunkte dar, weshalb die Online-Wahlen in der WO keinen Raum haben können. So nannte das ArbG z.B. § 3 Abs. 4 WO, der die elektronische Bekanntmachung des Wahlausschreibens ermöglicht. Das ArbG schlussfolgerte dahingehend, dass dem Gesetzgeber bei Inkrafttreten der WO im Jahre 2001 die bereits bestehende Digitalisierung bekannt war, er aber in Hinblick auf Online-Wahlverfahren keinen Regelungsbedarf ausmachen konnte.

Zudem seien die Online-Wahlverfahren für manche Nutzer schwierig nachzuvollziehen und auch nicht durchsichtig genug. Das Wahlverfahren in Papierform ermöglicht es dem Wähler, genau zu verfolgen, welche Schritte im Wahlverfahren vorgenommen worden sind. Ein eigens für die Online-Wahlen programmiertes System ist für Laien nicht durchschaubar und macht es somit auch leicht manipulierbar.

Auch konnte in dem Verfahren vor dem ArbG das Ein-Urnen-Prinzip im Rahmen der Online-Wahl nicht gewährleistet werden. Gerade der Umstand, dass die Stimmzettel der Präsenz- und Briefwahl in einer Urne gesammelt und dann ausgezählt wurden und die Stimmzettel der Online-Wahlen gesondert von diesen ausgezählt wurden, ließen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten zu. So könne davon ausgegangen werden, dass bestimmte Personengruppen eher das Medium der Online-Wahl für sich beanspruchen, während andere eher auf die Präsenz- oder Briefwahl zurückgreifen. Durch die getrennte Auszählung kann das Wahlverhalten im Betrieb durchsichtig gemacht werden, was nicht mit dem Grundsatz der Geheimheit der Wahl vereinbar ist.

Nichtigkeit der mittels eines Online-Wahlverfahrens durchgeführten Betriebsratswahl?

Das ArbG stellte fest, dass das Online-Wahlverfahren gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts verstößt und nicht mit der Wahlordnung vereinbar ist. Zudem sah das ArbG in der bewussten Anwendung eines Wahlverfahrens, das von der WO nicht genannt und konkretisiert wurde, einen schwerwiegenden Verstoß. Auch sei dieser Verstoß jedem, der mit dem Wahlvorgang und den Betriebsinterna vertraut ist, bekannt und somit als offensichtlich einzustufen. Die Nichtigkeit der Betriebsratswahl stand somit fest.

Auch die Zertifizierung der Wahl-Software durch das BSI und die sichere Gestaltung des Programmes konnte aufgrund des Verstoßes gegen die bestehende Wahlordnung nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

Ausblick

Das Verfahren vor dem ArbG zeigt, dass es Gründe gibt, die für die Einführung einer Online-Wahlmöglichkeit bei der Betriebsratswahl sprechen können. Dafür spricht vor allem, dass eine Online-Wahl zeitgemäß erscheint, oftmals schneller und unkomplizierter ablaufen kann und dadurch auch mit einer Erhöhung der Wahlbeteiligung gerechnet werden kann. Gerade die Wahlbeteiligung solcher Arbeitnehmer, denen eher das Online-Medium zusagt, kann durch die Einführung einer Online-Wahl erhöht werden (s. ebenso der vom ArbG zitierte Aufsatz: Arbeitswelt 4.0 – Benötigt das BetrVG ein Update in Sachen digitalisierte Arbeitsweise des Betriebsrates?, Fündling/Sorber, NZA 2017, 552 (555)). Da der Wortlaut der bisherigen Wahlvorschriften ein solches Online-Verfahren allerdings nicht zulässt, kann als politisches Ziel nur eine Gesetzesanpassung in Frage kommen.

Aus den Vorteilen und Möglichkeiten, die das Online-Wahlverfahren bietet, resultieren dennoch gleichzeitig auch Gefahren. Gerade der Manipulation der konzipierten Wahl-Software muss vorgebeugt werden und das Online-Wahlverfahren so ausgestaltet werden, dass es auch für einen Laien transparent bleiben kann. Ob und ggf. in welcher Form das Online-Wahlverfahren zukünftig in den gesetzlichen Wahlvorschriften Raum findet, bleibt abzuwarten.

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