Big Data, Plattformen, Kartellrecht – Änderungen in der 9. GWB-Novelle

9. GWB-Novelle und die Änderungen für Netzwerke und mehrseitige Märkte

Anfang Juli diesen Jahres hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Referentenentwurf über eine 9. GWB-Novelle veröffentlicht. Damit sollen gleich mehrere dringende Vorhaben umgesetzt werden. Eine kurze Übersicht über die verschiedenen Regelungspunkte:

  • Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie
  • Konzernhaftung und die sogenannte „Wurstlücke
  • Schwellwerte bei der Fusionskontrolle insbesondere für den Bereich der digitalen Technologien
  • Erleichterung von Pressekooperationen
  • Wettbewerbliche Bewertung von mehrseitigen Märkten und Netzwerken

Alles sehr wichtige Punkte für Unternehmen, insbesondere die Aspekte zum Schadensersatz und der Haftung. Aber auch die Neuregelungen über digitale Plattformen werden die Kartellrechtspraxis laufend beschäftigen. Hier eine Übersicht:

Digitale Plattformen – neue Herausforderungen und die Reaktion im Referentenentwurf der 9. GWB-Novelle

Bereits seit einigen Jahren beschäftigen sich Regulierungsbehörden, allen voran das Bundeskartellamt, mit Fragen im Zusammenhang mit digitalen Plattformen. Gerade diesen Sommer erschienen gleich zwei maßgeblich durch die Bonner Behörde geprägte Veröffentlichungen, mit der sie die Diskussion vorantreibt: Da ist zum einen das gemeinsame Papier der Autorité de la concurrence und des Bundeskartellamtes zu Daten und Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht aus dem Mai diesen Jahres. Wenig später im Juni veröffentlichte der interne Think Tank Internet des BKartA ein ausführliches Arbeitspapier zur Marktmacht von Plattformen und Netzwerken.

In dem kurz darauf erschienenen Referentenentwurf wurden bereits einige Änderungsvorschläge umgesetzt. Zum Beispiel soll klargestellt werden, dass Marktbeziehungen auch dann bestehen können, wenn eine Leistung unentgeltlich angeboten werden. Dies ist bereits eine der ersten Hürden in der kartellrechtlichen Erfassung von Plattformsachverhalten. Denn viele Plattformen wie Google, Facebook oder auch Twitter bieten ihre Leistung an den Nutzer vermeintlich unentgeltlich an – jedenfalls muss er kein monetäres Nutzungsentgelt bezahlen. Hier scheiden sich aber die Geister. Teilweise wird eine Marktbeziehung abgelehnt. Denn wo kein Preis sei, da bestehe auch kein Angebot und keine Nachfrage, also auch kein Markt. Andere Stimmen wiederum nehmen eine Marktbeziehung an, da die Nutzer mit ihrer Aufmerksamkeit oder ihren Daten bezahlen würden. Überzeugender ist wohl ein anderer Ansatz: Plattformen werden häufig auf mehreren Märkten tätig und verbinden diese oder vermitteln bestimmte Nutzergruppen. Zu diesem Geschäftsmodell gehört aber auch das Ausnutzen von Netzwerkeffekten, was am besten funktioniert, wenn eine Gruppe nicht mit Entgelten belastet wird. Aus diesem Grund wälzen viele Plattform-Betreiber ihre Kosten auf eine Seite ab, zum Beispiel auf Werbetreibende. Für die Nutzergruppe, die kein Entgelt bezahlen, bedeutet dies eine Rabattierung auf Null. Die eigentliche Entscheidung für ein Produkt ist jedoch weiterhin autonom und die Leistung potenziell entgeltlich.

Marktstellung von Netzwerken und mehrseitigen Märkten

Weitere interessante Änderungen finden sich für den Bereich der Bewertung der marktbeherrschenden Stellung nach § 18 GWB. Bislang gab es bestimmte Vermutungsregeln nach Marktanteilen, die bei Plattformen aber schnell an ihre Grenzen stoßen. Auch die kriterien zur einzelfallbezogenen Marktmachtbestimmung nach § 18 Abs. 3 GWB reichten häufig in der Praxis nicht aus, da sie nicht die wettbewerblichen Phänomene bei Plattformen wiedergeben. Deshalb wurde bereits seit einiger Zeit gefordert, dass weitere Kriterien aufgenommen werden sollten. Folgende Kriterien werden derzeit im Referentenentwurf vorgeschlagen:

  • direkte und indirekte Netzwerkeffekte
  • die parallele Nutzung mehrerer Dienste und der Wechselaufwand für die Nutzer
  • seine Größenvorteile im Zusammenhang mit Netzwerkeffekten
  • sein Zugang zu Daten
  • innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck

Das erste und das dritte Kriterium hängen jeweils sehr eng zusammen. Netzwerkeffekte können bestehen, wenn sich die Entscheidungen von Nutzergruppen eines Netzwerkes auf andere Nutzer oder eine andere Nutzergruppe auswirken. Das kann zum einen direkt erfolgen, wenn Nutzer einer bestimmten Gruppe ihr Verhalten davon abhängig machen, was die anderen Nutzer dieser Gruppe entscheiden. Zum anderen können sich die Entscheidungen von Nutzern einer Gruppe auch auf andere Nutzer einer anderen Gruppe auswirken. Zum Beispiel hängen die Entscheidungen von Werbepartnern hauptsächlich davon ab, ob und wie viele Internet-Nutzer ihre Werbung wahrnehmen. Diese Entscheidungen können für die Plattform verstärkende Tendenzen haben, da sie ihre Kosten auf die (zahlenden) Nutzer aufteilen kann.

Im Zusammenhang mit Plattformen wird häufig über sogenannte Lockin-Effekte diskutiert. Diese liegen vor, wenn der Aufwand für den Wechsel zu einem anderen Anbieter so hoch ist, dass er den Nutzen übersteigt, den der Nutzer von einem Wechsel hätte. Ob und welchen Einfluss dieses Kriterium in der Praxis haben wird, wird sich zeigen.

Interessant ist auch das Kriterium „Zugang zu Daten„. Hier wird sich auch zeigen, ob und wie zwischen unterschiedlichen Daten aus kartellrechtlicher Sicht differenziert werden kann. Nach aktuellem Stand soll der Wortlaut um die Voraussetzung der Wettbewerbsrelevanz ergänzt werden. Wann diese bei Daten vorliegt, wird die Praxis zeigen. Jedenfalls wird es spannend bleiben, ob und wie aus kartellrechtlicher Sicht zwischen zum Beispiel personenbezogenen Daten, vertriebs- oder gegenstandsbezogenen Daten oder anderen Daten differenziert werden kann. Fraglich ist dabei insbesondere, inwiefern mögliche Kollisionen mit anderen Regelwerken aufgelöst werden, die den Zugang zu Daten regulieren, z.B. das Datenschutzrecht.

Letztes neues Kriterium soll der innovationsgetriebene Wettbewerbsdruck sein. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass gerade in der Digitalwirtschaft ein hohes Wettbewerbsrisiko besteht. Plattformbetreiber können demnach nie völlig sicher sein, dass nicht ein Unternehmen mit einer besseren Idee ihnen das Geschäft abgräbt. Deshalb müssen sie sich selbst ständig bewegen und anpassen, möglicherweise sogar Maßnahmen ergreifen, die ihnen wirtschaftlich mehr schaden, nur um am Markt bestehen zu können. Dieser Wettbewerbsdruck auf bestimmte Unternehmen kann dabei als negatives Kriterium gegen eine Marktmachtstellung des Plattform-Betreibers sprechen. Allerdings wird in der weiteren Entwicklung spannend bleiben, wie dieser Wettbewerbsdruck messbar festgestellt werden könnte.

Ausblick

Die Entwicklungen zeigen, dass digitale Märkte immer mehr in den Fokus kartellrechtlicher Bewertungen rücken. Ob und wie sich mit den neuen Kriterien diese Fälle bewältigen lassen, wird sich in der Praxis zeigen. Im Zusammenhang mit kartellschadensersatzrechtlichen Ansprüchen werden wohl zahlreiche Folgefragen auftreten. Der Referentenentwurf soll noch dieses Jahr in einem Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden und wird sich dann wahrscheinlich ab Ende diesen Jahres seinen ersten Bewährungsproben ausgesetzt sehen.

Eine erste Einschätzung hierzu werde ich auch nächste Woche auf der DSRI-Herbstakademie in Hamburg geben. Dort halte ich einen Vortrag mit dem Thema „Big Data und Kartellrecht – Relevanz datenbasierter Geschäftsmodelle im europäischen und deutschen Kartellrecht„. Das Programm finden Sie hier. Hintergrund sind die verschiedenen kartellrechtlichen Anknüpfungspunkte für die Frage, was eigentlich Daten sind – das neue Öl, Geld, Aufmerksamkeit, Wettbewerbsindikator?

In der Praxis tauchen diese kartellrechtlichen Fragen auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger auf, in der das Landgericht Berlin im Frühjahr diesen Jahres eine erste Entscheidung gefällt hat (Az.:92 O 5/14 kart). Ich habe bei Telemedicus die wesentlichen rechtlichen Fragestellungen dieser Entscheidung zusammengefasst und kommentiert. Interessant ist aber auch das Verfahren des Bundeskartellamts gegenüber Facebook wegen des Verdachts auf Konditionenmissbrauch durch Datenschutzverstöße. Ich habe diese besondere Form des Ausbeutungsmissbrauchs in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Wettbewerb in Recht und Praxis“ ausführlich besprochen und diese wettbewerbliche Beurteilung einer möglichen Ausplündderung von Plattform-Nutzerdaten dargestellt.

Autor: Sebastian Telle

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