Letzte Woche hat das Bundeskartellamt (BKartA) in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, ein Verwaltungsverfahren gegenüber Facebook eingeleitet zu haben. Der Verdacht: Facebook missbrauche möglicherweise seine Marktmacht durch die Verwendung unzulässiger Vertragsbestimmungen. So sollen die Nutzungsbedingungen der Social-Media-Plattform gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Der Nutzer müsse umfangreich in die Erhebung und Nutzung seiner Daten einwilligen – der Umfang seiner Einwilligung sei jedoch nicht nachvollziehbar.
Mit diesem Schritt hat sich die Behörde viel vorgenommen. Sie wird einige für die Praxis sehr relevante Fragen beantworten – Big Data trifft Kartellrecht.
Hier eine kurze Übersicht:
Marktmacht und der Markt für soziale Netzwerke
Laut Pressemitteilung der Behörde bestehen Anhaltspunkte dafür, dass Facebook seine Marktmacht auf dem gesondert abzugrenzenden sachlichen Markt für soziale Netzwerke missbrauche. Dahinter stecken gleich mehrere Fragen und es bleibt abzuwarten, ob die Behörde bei dieser allgemeinen Einschätzung bleiben wird. Wer die Marktmacht feststellen will, muss zunächst definieren, um welchen Markt es sich überhaupt handelt. Insbesondere die Frage nach dem jeweiligen relevanten sachlichen Markt ist einer der wichtigsten Punkte im Kartellrecht. Stark vereinfacht definiert sich ein Markt durch Angebot und Nachfrage. Produkte und Leistungen gehören zu einem gemeinsamen Markt, wenn sie für die jeweilige Marktgegenseite untereinander austauschbar sind. Hierzu als einfaches Beispiel der sachliche Markt für Schrauben: Ein Heimwerker wird ohne Weiteres zwischen den Angeboten verschiedener Schraubenhersteller wechseln können und damit seine Nachfrage befriedigen können. Allerdings würde er keine Wäscheklammern statt der Schrauben kaufen. Für ihn befriedigen damit alle Anbieter von Schrauben seine Nachfrage, sodass Anhaltspunkte für einen sachlich relevanten Schraubenmarkt bestehen.
In der Praxis und auch hier ist die Marktdefinition wesentlich komplexer. Die meisten Nutzer sind auf verschiedenen Plattformen angemeldet, sodass man bereits eine unterschiedlich ausgerichtete Nachfrage annehmen könnte. Neben Facebook stehen im Business-Bereich noch Xing oder LinkedIn bereit. Hinzu kommen Netzwerke wie Twitter oder Instagram. Einen großen Bereich machen auch die Online-Dating-Plattformen aus, für die das BKartA letztes Jahr in seiner Freigabeentscheidung zur Fusion von Parship und Elitepartner sehr umfangreich und lesenswert den betroffenen Markt definiert hat.
Allerdings haben soziale Netzwerke auch eine besondere Gemeinsamkeit, die sogenannten zweiseitigen Märkte. Dabei handelt es sich um eine Konstellation, die in jüngerer Zeit immer wieder im Zusammenhang mit Plattformen diskutiert wird. Denn diese vermitteln nicht nur soziale Kontakte, sondern stellen auch eine Verbindung zwischen verschiedenen Märkten her. Dabei ist das Verhalten der Akteure der einen Gruppe stark davon abhängig, wie die andere reagiert. Konkret bezogen auf Facebook: 1. Der Nutzer fragt die Leistung soziales Netzwerk nach, die Facebook anbietet. 2. Werbeunternehmen oder Spiele-Anbieter fragen die Leistung Reichweite und Kontakt zu potenziellen Kunden nach, die Facebook ebenso anbietet. Die Abhängigkeit zwischen den unterschiedlichen Reaktionen der beteiligten Gruppen nennt sich Netzwerkeffekt. Bei Facebook treffen verschiedene Gruppen aufeinander und demnach werden verschiedene Netzwerkeffekte – positive wie auch negative – auftreten. Die Behörde wird diese Phänomene wettbewerblich und kartellrechtlich bewerten müssen. Insofern sind aus diesem Verfahren einige neue Erkenntnisse zu erwarten.
Schließlich wird noch ein weiterer Aspekt neu hinzutreten. Bislang hat das BKartA im Rahmen der Marktdefinition eine entgeltliche Marktbeziehung vorausgesetzt, die bei den grundsätzlich kostenlosen Facebook-Accounts nicht vorliegt. Dagegen wurde immer wieder argumentiert, die Facebook-Nutzer würden mit Ihren Daten bezahlen. Allerdings hat die Behörde im Herbst letzten Jahres in einem Hintergrundpapier bereits angekündigt, von diesem Ansatz möglicherweise abweichen zu wollen. Bei zweiseitigen Märkten werden nämlich die Produkte gegen eine andere als eine monetäre Gegenleistung angeboten – zum Beispiel Aufmerksamkeit oder die Preisgabe von Informationen.
Missbraucht Facebook seine Marktmacht? – Wann liegt ein Konditionenmissbrauch vor?
Die hier entscheidende Norm mit meinen Hervorhebungen ist § 19 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen):
(2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen
- […]
- 2.
Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen;[…]
Dieser Fall kommt seltener vor als der Preismissbrauch. In der Praxis spielte er zum Beispiel bei den Bedingungen der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften eine Rolle. Voraussetzung ist dabei, dass die tatsächlichen Vertragsbedingungen stark von denen abweichen, wie sie hypothetisch bei funktionierendem Wettbewerb entstehen würden (Konzept des Als-ob-Wettbewerbs).
Das BKartA hat hier den Verdacht geäußert, dass die Nutzungsbedingungen bei Facebook gegen deutsches Datenschutzrecht verstoßen. Der Umfang der erteilten Einwilligung sei für die Nutzer nur schwer nachvollziehbar. Wie teilweise von Datenschützern erhofft, wird aber die Behörde ihnen nicht ohne weiteres „zur Hilfe kommen“ und das Unternehmen zur Umsetzung datenschutzkonformer Nutzungsbedingungen zwingen. Eine Rechtsverletzung kann zwar ein starkes Indiz für einen Marktmachtmissbrauch sein und in der letzten Zeit mehren sich die gerichtlichen Entscheidungen, die Facebooks Nutzungsbedingungen und Datenschutzregeln zum Gegenstand haben. Ein tatsächlich erwiesener Verstoß ist jedoch keine Voraussetzung. Denn auch bei hypothetisch wirksamem Wettbewerb könnte ein Unternehmen Rechtsverstöße begehen, die dann erst Recht nicht gegen das Kartellrecht verstoßen. Das Kartellrecht schützt aber nur den Wettbewerb, nicht das Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Dies lässt sich überspitzt formulieren: Da nicht einmal konkrete Rechtsverstöße erforderlich sind, könnte sogar die Verwendung grundsätzlich zulässiger Vertragsbedingungen einen Konditionenmissbrauch darstellen, wenn dies einer Ausplünderung der Marktgegenseite gleichkommt. Dies kann bei einer zu umfangreichen Einwilligung in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten der Fall sein, selbst wenn diese Einwilligung rechtlich zulässig ist.
Wie sich dieser Missbrauchsvorwurf äußert, kann auch folgender Vergleich des Konditionenmissbrauchs mit dem Preismissbrauch verdeutlichen: Beim Preismissbrauch beutet das marktbeherrschende Unternehmen die Marktgegenseite aus, indem es ihr zu viel Geld abverlangt. Beim Konditionenmissbrauch dagegen beutet das marktbeherrschende Unternehmen die Marktgegenseite aus, indem es ihr zu viele sonstige Vorteile abverlangt. Auch diese Vorteile lassen sich wirtschaftlich ähnlich wie der Preis bestimmen. In der kartellrechtlichen Praxis erfolgt dies durch eine „Gesamtbetrachtung des Leistungsbündels“.
Das BKartA wird also sehr umfangreiche Prüfungen vornehmen müssen. Das Ergebnis kann – muss aber nicht – sich auch positiv auf den Datenschutz auswirken. Aber die Folgen können dramatischer sein: das Kartellrecht sieht nicht nur deutlich höhere Bußgelder vor, die sich am jeweiligen weltweit erzielten Jahresumsatz des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung orientieren. Hinzu kommt, dass sich das kartellrechtliche Missbrauchsverbot an „Unternehmen“ richtet. Der Unternehmensbegriff ist im Kartellrecht sehr weit gefasst und umfasst jede wirtschaftliche Tätigkeit. Anders als bei den rein datenschutzrechtlichen Auseinandersetzungen wird sich Facebook hier deshalb nicht seiner kartellrechtlichen Verantwortlichkeit dadurch entziehen können, dass es seinen europäischen Sitz in Irland hat.
Autor: Sebastian Telle
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