BGH: Digitaler Nachlass – Zeit zum Umdenken?

Der Bundesgerichtshof (BGH) scheint in seinem Urteil vom 12.07.2018 (Az. III ZR 183/17) die Weichen dahingehend gestellt zu haben, dass grundsätzlich kein Unterschied zwischen dem analogen und dem digitalen Nachlass besteht (s. BGH Pressemitteilung, ebenfalls vom 12.07.2018). Die vollständigen Urteilsgründe wurden zwar bislang (Stand 16.07.2018) nicht veröffentlicht. Es ist jedoch bereits ersichtlich, dass Anbieter und Nutzer von sozialen Medien, Partnervermittlungen, Mail-Diensten oder Kommunikations-Apps ihren bisherigen Umgang mit Accounts einer Prüfung unterziehen müssen.

Der Sachverhalt

Hintergrund der Entscheidung ist der tragische Fall einer Minderjährigen, die im Jahr 2012 bei einem Zwischenfall mit einer U-Bahn ums Leben kam.  Unklar ist, ob es sich dabei um einen Unfall oder einen Suizid handelte. Die Mutter, zugleich die Erbin der Hinterbliebenen, erhoffte sich, durch Zugang zu dem Facebook-Account ihrer Tochter nähere Informationen über die Umstände des Todes erlangen zu können. Dies wurde unter anderem auch deshalb relevant, weil sie vom Zugführer der U-Bahn auf Schadensersatz in Anspruch genommen wurde. Facebook hatte den Account der Verstorbenen jedoch in den sog. „Gedenkzustand“ versetzt. Dadurch war es trotz Kenntnis der Zugangsdaten nicht mehr möglich, die mit anderen Facebook-Nutzern ausgetauschten Nachrichten einzusehen.

Hiergegen wendete sich die Mutter. Erstinstanzlich hatte das Landgericht Berlin dem Anspruch der Mutter stattgegeben (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). In der Berufung verneinte das Kammergericht Berlin diesen Anspruch jedoch, da es § 88 Abs. 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) als einschlägig erachtete (KG Berlin, Urt. v. 31.05.2017, Az. 21 U 9/16). Beide Gerichte gingen zwar bereits von der Vererbbarkeit des Facebook-Accounts als Teil des sog. digitalen Nachlasses aus. Das Kammergericht sah jedoch in den Rechten der Kommunikationspartner der Verstorbenen ein Zugangshindernis.

Der BGH hat nunmehr über die Vererbbarkeit des Accounts, genauer des Nutzungsvertrags zwischen Dienstanbieter und Nutzer, hinaus bekräftigt, dass Rechte Dritter der Kenntnisnahme durch Erben hier nicht entgegenstehen.

Der digitale Nachlass

Erben rücken gem. § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Wege der sog. Gesamtrechtsnachfolge in die Rechtsstellung des Erblassers ein, werden also, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Träger sämtlicher Rechte und Pflichten des Erblassers. Diese beschränken sich jedoch nicht auf materielle Besitztümer des Erblassers. Der Erbe tritt auch in die Nutzungsverträge des Erblassers mit Dienstanbietern im Internet ein.

Der BGH macht deutlich, dass der Erstreckung der Gesamtrechtsnachfolge und der damit einhergehenden grundsätzlichen Gleichstellung von analogem und digitalem Erbe im Fall des Nutzungsvertrags mit Facebook keine rechtlichen Bedenken entgegenstehen. Das Gericht stellt fest, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook keine Klausel enthalten, die die grundsätzliche Vererbbarkeit ausschließen. Die Klausel über den sog. „Gedenkzustand“ sei weder in den Vertrag einbezogen noch halte sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB stand.

Der BGH hat erwogen, ob der Vererbbarkeit das Wesen des Nutzungsvertrags entgegenstehen könnte. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn der Vertrag zwischen dem Nutzer und Facebook höchstpersönlicher Natur wäre. Dies sei jedoch auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte Dritter nicht der Fall. Aus dem Nutzungsvertrag lasse sich zwar eine berechtigte Erwartung der Vertraulichkeit der Kommunikation ableiten. Diese sei jedoch nicht personen-, sondern nutzerkontenbezogen.  Nach Ansicht des BGH gewährleiste Facebook damit allein, dass die Kommunikationsinhalte seitens Facebook nicht Dritten zugänglich gemacht werden, die nicht an der Kommunikation beteiligt seien. Die Nutzer müssten darüber hinaus jedoch bereits zu Lebzeiten ihres Gesprächspartners damit rechnen, dass Dritte sich unbefugt Zugang zu dessen Nutzerkonto verschaffen oder der berechtigte Kontoinhaber die Inhalte der Kommunikation Dritten zugänglich macht. Darüber hinaus sei auch mit der Vererbbarkeit des Kontos im Todesfall zu rechnen.

Der BGH betont, dass auch höchstpersönliche Rechte regelmäßig vererbbar seien. Das Gericht bemüht insoweit einen Vergleich mit der Vererbung von Tagebüchern und persönlichen Dokumenten. Dass diese vererbbar sind, werde bereits gesetzlich in §§ 2047 Abs. 2 und  2373 S. 2 BGB vorausgesetzt.

Damit erteilt der BGH auch der Auffassung des Kammergerichts Berlin eine Absage, das das Fernmeldegeheimnis nach § 88 Abs. 3 des TKG für einschlägig hielt. Der BGH argumentiert, dass Erben nicht „Andere“ im Sinne der Vorschrift seien. Auch die bislang in Teilen der Literatur vertretene Unterscheidung zwischen höchstpersönlichen und vermögensrechtlichen Ansprüchen ist hier nach Ansicht des BGH nicht heranzuziehen. Zudem stünden Aspekte des postmortalen Persönlichkeitsschutzes dem Anspruch nicht entgegen.

Das Gericht hatte außerdem zu erörtern, ob die seit Mai dieses Jahres geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) dem Anspruch der Klägerin entgegensteht. Hinsichtlich der verstorbenen Minderjährigen hob das Gericht hervor, dass die DS-GVO verstorbene Personen grundsätzlich nicht schütze. Gleichzeitig gelte hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten der Nutzer, dass diese nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO zulässig sei, da die Verarbeitung für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem zwischen Facebook und dem Nutzer geschlossenen Nutzungsvertrag erforderlich sei. Darüber hinaus sei die Verarbeitung jedoch auch zur Wahrung der berechtigten Interessen der Erben eines Nutzers erforderlich, denen keine überwiegenden Interessen der Kommunikationspartner des Verstorbenen, auch wenn diese möglicherweise noch minderjährig seien, entgegenstünden. Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO rechtfertige insoweit, dass dem Erben der Zugang zu dem Benutzerkonto gewährt wird.

Der Ausblick

Das Urteil wird auch über die dargestellte Fallgestaltung hinaus praktische Relevanz erlangen. Die Entscheidung wird bei allen Rechtsfragen rund um den digitalen Nachlass künftig einzubeziehen sein.

Gesteigert wird die Brisanz des Urteils auch dadurch, dass der Gesetzgeber bislang, entgegen seines ursprünglichen Vorhabens, auf dem Gebiet des digitalen Nachlasses nicht tätig geworden ist. Man mag das Urteil insoweit auch so sehen, dass der BGH „Fakten geschaffen hat“. Die rechtliche Würdigung über die generelle Vererbbarkeit steht zwar in keinerlei Widerspruch zum geltenden Erbrecht. Es mag jedoch bezweifelt werden, ob die aktuelle Gesetzeslage, wie sie sich auch aus den Nebengebieten ergibt, zu Ergebnissen führt, die der Lebenswirklichkeit im digitalen Zeitalter uneingeschränkt gerecht werden.

Die Konsequenzen

Einerseits ist die Entscheidung des BGH begrüßenswert, insoweit er die generelle Frage der Vererbbarkeit entschieden hat und damit auch den Erben die Abwicklung des Nachlasses vereinfacht.

Nutzer von Internetdiensten wie beispielsweise LinkedIn, Xing, Facebook oder Instagram, Mail-Anbietern wie Google oder GMX, sowie von Kommunikationsdiensten wie WhatsApp oder sogar Partnervermittlungen wie Parship oder ElitePartner sollten sich jedoch Fragen über die Vertraulichkeit der Kommunikation stellen. Auch abseits unberechtigter Zugriffe besteht die Gefahr, dass die eigenen Erben und/oder die Erben des Kommunikationspartners Einblick in die Gesprächsinhalte erhalten. Dies mag gerade in sensibleren Bereichen nicht Jedermanns Wunsch sein.

Auf Seiten der Dienstbetreiber stellt sich die Frage, ob und wieweit ein Ausschluss der Vererbbarkeit des Nutzungsvertrags rechtlich wirksam ist. Der BGH hat diesen Aspekt erwähnt, musste ihn jedoch vorliegend nicht entscheiden. Auch darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Dienstanbieter ihre – teils sehr unterschiedlichen – AGB und Vorgehensweisen im Fall des Todes einer ihrer Nutzer derzeit im Hinblick auf das vorliegende Urteil überdenken. Dabei ist ersichtlich, dass die Möglichkeit unbeschränkter Einsicht in persönliche Kommunikation durch Dritte die Bereitschaft zur Nutzung des jeweiligen Dienstes mindern kann und damit auch wirtschaftlich nachteilig ist. Es bleibt spannend, wie die Dienstanbieter diesen Konflikt lösen werden.

 

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(Anlässlich der Veröffentlichung des Volltextes der Urteilsbegründung ist ein zweiter Artikel geplant, der näher auf Lösungsvorschläge eingeht.)

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