Die Weiterleitung betrieblicher E-Mails auf einen privaten E-Mail-Account kann den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne vorherige Abmahnung berechtigen. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin) mit Urteil vom 16.5.2017 (Az.: 7 Sa 38/17) entschieden.
Hintergrund des Urteils
Als Berufungsinstanz musste das LAG Berlin über eine Kündigungsschutzklage eines im Vertrieb bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmers entscheiden, der E-Mails mit betrieblichen Informationen an seinen privaten E-Mail-Account versendete. Der Kläger stand zu diesem Zeitpunkt mit einem Konkurrenten der Beklagten in Vertragsverhandlungen und vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages.
Sachverhalt
Kläger und Beklagte unterhielten seit dem 11.3.2011 ein Arbeitsverhältnis. § 11 Abs. 4 des Arbeitsvertrages verpflichtete die Arbeitnehmer, auf elektronischen Datenträgern gespeicherte Daten und Informationen auf Verlangen, spätestens aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu löschen. Die Beklagte stellte dem Kläger zudem einen dienstlichen Laptop, mit dem Daten abgespeichert werden konnten und mittels eines externen Zugangs auf das Netzwerk der Beklagten Zugriff genommen werden konnte.
Der Kläger nahm Ende 2015, Anfang 2016 Vertragsverhandlungen mit weiteren potentiellen, u.a. auch in Konkurrenz zu der Beklagten stehenden, Arbeitgebern auf. Am 11.4.2016 leitete der Kläger einen konkreten Entwurf eines Arbeitsvertrages von seinem privaten E-Mail-Account an seinen dienstlichen Account weiter. Die den Entwurf begleitende E-Mail beschrieb den Vertragsentwurf als „neu“ unter Erhöhung der Urlaubstage. Zudem wurde darum gebeten, zur Finalisierung des Arbeitsvertrages nur noch das Geburtsdatum mitzuteilen. Zwei Wochen später sendete der Kläger von seinem dienstlichen Account mehrere E-Mails an seinen privaten Account, von denen drei ein von der Beklagten auszuführendes Projekt betrafen und Angebots- und Kalkulationsgrundlagen, technische Daten, Berechnungsparameter, Vertragsentwürfe und Wartungsverträge enthielten.
Der Kläger gab an, seit Jahren schon dienstliche E-Mails an seinen privaten E-Mail-Account zwecks Kontaktdatenabgleich zu übersenden. Zudem sah er seine Handlung von den Regelungen des Arbeitsvertrages als gestützt an.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich bzw. hilfsweise ordentlich am 29.4.2016. Der Kläger selbst kündigte das Arbeitsverhältnis am selben Tag mit Frist bis zum 31.7.2016 und ist seit dem 1.7.2016 bei einem mit der Beklagten konkurrierenden Unternehmen tätig. Mit der am 19.5.2016 anhängig gemachten Klage verlangte der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung mangels wichtigen Grundes und einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung.
Urteil des Arbeitsgerichts Berlin
Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschied mit Urteil vom 7.11.2016 (Az.: 54 Ca 6562/16), dass die Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis weiterhin fortbesteht. Das ArbG Berlin sah vor allem die Weiterleitung der E-Mails unter den Regelungen des Arbeitsvertrages als zulässig an. Für einen potentiellen Verdacht, dass Daten an Dritte weitergeleitet werden sollten, fehlten dem ArbG Berlin substantiierte Anhaltspunkte.
Anforderungen an einen außerordentlichen Kündigungsgrund
§ 626 Abs. 1 BGB bestimmt, dass ein außerordentlicher Kündigungsgrund nur dann gegeben ist, wenn Tatsachen vorliegen, die typischerweise einen wichtigen Grund darstellen und im Einzelfall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, nicht mehr zumutbar ist.
Auch die Missachtung von Rücksichtnahmepflichten, die sich als Nebenpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB herleiten lassen, kann einen wichtigen Grund darstellen. Eine solche Rücksichtnahme erfordert vom Arbeitnehmer die Erfüllung seiner Arbeitspflichten und die Wahrung der Interessen des Arbeitgebers. Darunter fällt auch, dass der Arbeitnehmer weder Betriebsinterna für betriebsfremde Zwecke vervielfältigen noch sich Unterlagen oder Daten zu eigen machen darf.
Achtung: Die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses ist sogar eine nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. b UWG strafbewehrte Handlung.
Ob die Einhaltung der Kündigungsfrist unzumutbar ist, bedarf einer Einzelfallbewertung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sowohl die Schwere der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers und eine mögliche Wiederholungsgefahr als auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses und seine fehlerfreie Ausführung sind dabei zu berücksichtigen. Nur, wenn andere mildere Mittel dem Arbeitgeber nicht mehr zur Verfügung stehen, um das Verhalten des Arbeitnehmers zu sanktionieren, kommt eine außerordentliche Kündigung in Betracht.
Weiterleitung von E-Mails an privaten Account als außerordentlicher Kündigungsgrund?
Das LAG Berlin sah die Weiterleitung von betrieblichen E-Mails zu betriebsfremden Zwecken als erheblichen Vertragsverstoß an. Zum einen stützte die Kammer ihre Entscheidung auf die Gefährdung der Geschäftsinteressen der Beklagten aufgrund der Weiterleitungsmöglichkeit an konkurrierende Unternehmen und zum anderen auf die fehlende Erlaubnis bzw. fehlende Erforderlichkeit der Übermittlung der Daten an den privaten E-Mail-Account.
Weiterleitung dienstlicher E-Mails als Gefährdung des Geschäftsbetriebs
Aus verschiedenen Gründen ging das LAG Berlin davon aus, dass der Kläger in unerlaubter Weise die verschiedenen Daten an seinen privaten E-Mail-Account übersandte, um seine Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber vorzubereiten und die übersandten Daten dort zu nutzen.
Die Nutzungsmöglichkeit des dienstlichen Laptops ließ schon die Notwendigkeit der Übermittlung zu einem etwaigen Kontaktdatenabgleich entfallen. Darüber hinaus seien Vertragsverhandlungen bereits im Gange gewesen, was an der konkreten Formulierung des Vertragsangebots („neuer Vertragsentwurf“; Finalisierungsvorhaben) erkennbar war.
Während die einmalige Weiterleitung dienstlicher E-Mails auf einen privaten Account noch nicht als wichtiger Grund „an sich“ angesehen wurde, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde (vgl. LAG Hamm v. 16.1.2012 – Az.: 7 Sa 1201/11), leitete der Kläger zahlreiche E-Mails auf seinen Account weiter. Der Kläger übersandte infolgedessen zahlreiche, mindestens jedoch drei E-Mails an seinen privaten Account, die Projekte der Beklagten betrafen.
Keine Erlaubnis der Weiterleitung
Auch lag keine Erlaubnis seitens der Beklagten vor, die das Handeln des Klägers rechtfertigen könnte. Eine ausdrückliche Genehmigung konnte das LAG Berlin § 11 Abs. 4 des Arbeitsvertrages – entgegen der Auffassung des Klägers und der des ArbG Berlins – nicht entnehmen. Auch eine konkludente Genehmigung konnte das LAG Berlin nicht überzeugen, da die Beklagte dienstliche Laptops zur Verfügung stellte, sodass die Weiterleitung der E-Mails nicht notwendig war.
Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
Das LAG Berlin traf eine Interessenabwägung zugunsten der Beklagten. Aufgrund der Gefährdung ihres Geschäftsbetriebs und der Möglichkeit, dass der Kläger weitere Pflichtverletzungen begehen könnte, wurde die Einhaltung einer Kündigungsfrist als unzumutbar angesehen. Gerade weil der Kläger kurz vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem konkurrierenden Unternehmen stand, konnte davon ausgegangen werden, dass Geschäftsdaten im neuen Arbeitsverhältnis weiterverwendet werden sollten. Auch hätte es nach Ansicht des LAG Berlin für den Kläger unstreitig erkennbar sein müssen, dass Geschäftsunterlagen nicht für die Kenntnis eines konkurrierenden Unternehmens bestimmt sind.
Fehlerhafte Beteiligung des Betriebsrates?
Gerade in mitbestimmten Unternehmen bedürfen bestimmte Entscheidungen oder Handlungen des Arbeitgebers der Zustimmung des Betriebsrates.
Anhörung des Betriebsrates
Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören. Der Betriebsrat war sowohl bei der Untersuchung der Daten auf dem Computer als auch im Anhörungsgespräch mit dem Kläger anwesend und wurde zudem ausführlich über die Ergebnisse vor seiner Beschlussfassung nochmals schriftlich informiert. Nach einer Beratung von 40 Minuten stimmte der Betriebsrat der Kündigung zu. Das LAG Berlin stellte keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung fest.
Wann ist von einer fehlerhaften Beteiligung auszugehen?
Im Gegensatz dazu ist von einer unwirksamen Beteiligung des Betriebsrates erst dann auszugehen, wenn die Entscheidung entweder erkennbar nicht vom Gremium getragen wird und nur die persönliche Äußerung des Vorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler durch unsachgemäßes Handeln selbst veranlasst hat (ständige Rechtsprechung des BAG: BAG v. 26.9.2013 – Az.: 2 AZR 741/12; BAG v. 22.11.2012 – Az.: 2 AZR 732/11; BAG v. 6.10.2005 – Az.: 2 AZR 316/04). Ein unsachgemäßes Handeln des Arbeitgebers kommt z.B. dann in Betracht, wenn er dem Betriebsrat nur eine kürzere als die gesetzliche Frist zur Beratung über die Kündigung einräumt.
Fazit
Arbeitgebern ist zu raten, bereits im Arbeitsvertrag Regelungen zur Nutzung von dienstlichen E-Mail-Accounts zu treffen. Sollten Arbeitgeber die private Nutzung von betrieblichen E-Mail-Accounts oder die Weiterleitung von dienstlichen E-Mails an private E-Mail-Accounts nicht wünschen, können sie dies schon im Vorfeld arbeitsvertraglich festhalten.
Auch Arbeitnehmer sollten sich mit dem richtigen bzw. vertraglich vereinbarten Umgang mit dienstlichen E-Mail-Accounts vertraut machen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, dass ihr Arbeitgeber sie für eine Zuwiderhandlung zur Rechenschaft zieht.
Haben Sie Fragen? Möchten Sie Bestimmungen treffen, die sowohl in arbeitsrechtlicher als auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht die Nutzung von dienstlichen E-Mail-Accounts regeln? Wir helfen Ihnen gerne dabei. Hier finden Sie unsere Ansprechpartner.