BAG: Kein Verwertungsverbot bei rechtmäßiger offener Videoüberwachung

Zentrale Normen: Art. 1, 2, 12, 14 GG; §§ 6b, 32 BDSG (alte Fassung); §§ 4, 26 BDSG n.F., Art. 5, 9 DS-GVO

Die Speicherung von Bildaufzeichnungen wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung arbeitsrechtlich noch ahnden kann. Eine rechtmäßige offene Videoüberwachung verletzt das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nicht, wenn sie den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) a.F. entsprochen hatte. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 23.08.2018 (Az. 2 AZR 133/18 – zur Pressemitteilung) entschieden.

Hintergrund der Entscheidung

Die Klägerin ist eine Arbeitnehmerin, die bei dem Beklagten im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig war. Der Beklagte, Inhaber eines Tabak- und Zeitschriftenhandels mit zwischenzeitlich geschlossener Lottoannahmestelle, stellte während einer stichprobenartigen Ermittlung seiner Warenbestände fest, dass insbesondere Tabakwaren fehlten. Aufgrund dessen wurde das in der Filiale installierte Videogerät durch eine seiner Beschäftigten ausgewertet, wobei festgestellt wurde, dass die Klägerin in drei Fällen Tabakwaren verkaufte und das Geld hierfür in die Lottokasse legte. Daraus schlussfolgerte der Beklagte, dass die Klägerin Geld an sich genommen habe und kündigte ihr fristlos „wegen der begangenen Straftaten“.

Der bei dem Arbeitsgericht Iserlohn (Az. 4 Ca 1501/16) erhobenen Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung wurde stattgegeben. Der Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) (Az. 2 Sa 192/17) ein, die zurückgewiesen wurde. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste nun über die eingelegte Revision entscheiden.

Videoüberwachung – Nur in Grenzen zulässig

§ 6b BDSG a.F. regelte bis zum 25.05.2018 die Zulässigkeit von Videoüberwachungen in öffentlich zugänglichen Räumen, also solchen, die zur Nutzung durch die Allgemeinheit (z.B. Verkaufsräume, Tankstellen) freigegeben sind. Per Video überwacht werden darf nur, soweit dies zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und im Rahmen einer Interessenabwägung festgestellt werden kann, dass die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen nicht überwiegen.

Mit der Videoüberwachung verfolgt der Berechtigte meist präventive, aber auch repressive Zwecke. Die Begehung möglicher Straftaten soll gerade durch die Möglichkeit des „Gesehenwerdens“ erschwert bzw. verhindert, die Aufklärung von Straftaten um ein Vielfaches erleichtert werden. Doch an sich ist eine Videoüberwachung nicht zulässig: Im Rahmen der in § 6b Abs. 1 S. 1 BDSG a.F. erforderlichen Interessenabwägung müssen die Rechte der Betroffenen – vor allem ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG – und die Rechte des Berechtigten, meist die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG, abgewogen werden. Je intensiver das Ausmaß der Überwachung ist, umso höhere Anforderungen müssen auch an die überwiegenden Interessen des Berechtigten gestellt werden. Erst wenn die Interessenabwägung zugunsten des Berechtigten ausfällt, ist sie als rechtmäßig anzusehen.

Und was hat das mit Beweisverwertung zu tun?

Wurden Beweise gewonnen, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie im Prozess auch verwertbar sind.  Art. 2 Abs. 1, 1 GG garantiert neben dem Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Greift die Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, kann nur dann ein überwiegendes Interesse an der Verwertung angenommen werden, wenn neben dem schlichten Beweisinteresse auch weitere Interessen an der Verwertung bestehen.

Dabei bezieht sich das Beweisverwertungsverbot nicht nur auf das unmittelbare Beweismittel, sondern gerade auch auf die mittelbare Verwertung dieses Beweismittels. In diesem Zusammenhang wurde im vorliegenden Rechtsstreit relevant, dass das Videomaterial von einer Beschäftigten des Beklagten ausgewertet wurde und das Beweismittel über eine Zeugenaussage nicht trotzdem mittelbar in den Prozess gelangen sollte.

Verstoß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Löschung des Überwachungsmaterials

§ 6b Abs. 5 BDSG a.F. normiert die ausdrückliche Pflicht zur Löschung des Videomaterials, sollte es zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sein oder schutzwürdige Interessen des Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Das LAG hielt fest, dass ein möglichst schonender Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen nur garantiert werden kann, wenn die Videoaufzeichnungen nur kurz gespeichert werden. Sollte eine automatische Löschung nicht angedacht sein, obliege es dem Arbeitgeber, das Videomaterial unverzüglich zu überprüfen und eine Auswertung zügig vorzunehmen. Dies folge auch schon aus dem Grundsatz der Datensparsamkeit (§ 3a BDSG a.F.). Das LAG nahm an, dass die Speicherung der Aufnahmen für einen Zeitraum von rund sechs Monaten diesen Erfordernissen nicht gerecht werde.

Das BAG hielt dem entgegen, dass der Beklagte gerade nicht zur sofortigen Auswertung der Aufzeichnungen verpflichtet gewesen ist, sondern vielmehr so lange speichern durfte, bis er einen berechtigten Anlass für die Auswertung sah.

Besonderheiten der Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis

Einen Sonderfall bildet zudem die Videoüberwachung der Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz. Wird der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit an seinem Arbeitsplatz überwacht, ist die Intensität des Eingriffs besonders hoch.

Hinweis: Da eine solche Videoüberwachung auch immer dazu geeignet ist, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu kontrollieren, sind in mitbestimmten Betrieben stets die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beachten.  

Das LAG sah eine Totalüberwachung des Arbeitnehmers als derart schwerwiegend an, dass die Speicherung von Aufnahmen über einen langen Zeitraum nur für den eventuellen Bedarf nicht möglich sein dürfe.

§ 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. rechtfertigt zwar eine Videoüberwachung, wenn sie der Aufdeckung von Straftaten im Arbeitsverhältnis dient. Jedoch muss schon vor Einsatz der Videoüberwachung ein konkreter, durch Tatsachen belegter Verdacht bestehen, dass tatsächlich Straftaten begangen wurden. Zufallsfunde, die im Rahmen einer zulässigen Videoüberwachung eines anderen Beschäftigten gemacht werden, können ebenso gerechtfertigt sein. Da das LAG weder Anhaltspunkte vor Beginn der Videoüberwachung sah, noch die Überwachung als Zufallsfund einstufte, lehnte es diesen Rechtfertigungstatbestand ab.

Und was passiert jetzt?

Das BAG hat verdeutlicht, dass bei Vorliegen einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung gerade kein Verwertungsverbot in Betracht kommt. Auch die Pressemitteilung des BAG lässt anklingen, dass auch die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) einer gerichtlichen Verwertung der personenbezogenen Daten nicht entgegenstehen. Da das BAG jedoch nicht feststellen konnte, ob es sich um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung handelt, wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückgewiesen. Das LAG muss nun überprüfen, ob die Überwachung als rechtmäßige offene Videoüberwachung einzustufen war.

 

Exkurs: Videoüberwachung nach neuer Rechtslage

Auch unter der DS-GVO und dem BDSG n.F. bleibt die Frage nach der Zulässigkeit der Videoüberwachung weiterhin spannend. Auch wenn die Entscheidung des BAG noch zur alten Fassung des BDSG getroffen wurde, unterscheiden sich die neuen Regelungen nicht wesentlich von den bislang geltenden Regelungen.

Zulässigkeit der Videoüberwachung

Seine Vorgängerregelung nahezu gleich übernehmend wird die Zulässigkeit von Videoüberwachungen fortan nach § 4 BDSG n.F. beurteilt. Auch nach der neuen Rechtslage muss im Rahmen einer Interessenabwägung festgestellt werden, dass das Interesse an der Verwertung die Interessen der betroffenen Person überwiegt.

Beschäftigtendatenschutz

§ 26 Abs. 1 S. 2 BDSG n.F. bleibt zur Vorgängerregelung gleichlautend. Nach wie vor reichen vage Anhaltspunkte oder Mutmaßungen gerade nicht aus, um eine Videoüberwachung der Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten zu rechtfertigen. Vielmehr müssen im Beschäftigungsverhältnis konkrete Anhaltspunkte vor Einsatz der Videoüberwachung bestehen, damit die Verarbeitung der personenbezogenen Daten rechtmäßig sein kann.

Grundsatz der Datenminimierung

Unter § 3a BDSG a.F. noch als Datensparsamkeit bekannt, kennt auch die DS-GVO einen solchen Grundsatz, benennt ihn hingegen nur anders: Art. 5 Abs. 1 lit. c DS-GVO verpflichtet zur Datenminimierung. Beide Normen verfolgen dennoch das selbe Ziel: Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten muss dem Zweck angemessen und erheblich, sowie auf das notwendige Maß beschränkt sein.

Besonderheit: Verarbeitung von biometrischen Daten

Neu unter der DS-GVO ist die Einordnung von biometrischen Daten als besondere Kategorien personenbezogener Daten (Art. 9 DS-GVO). Auch im Rahmen von Videoüberwachungen können biometrische Daten eine große Rolle spielen. Software und Kamerafunktionen können so ausgestaltet sein, dass nicht mehr nur die Bildaufzeichnung wiedergegeben wird, sondern anhand von weiteren Informationen, wie dem Hintergrund oder der Gesichtserkennungsberechnung, eine Identifikation der aufgezeichneten Person anhand des biometrischen Datenmaterials vereinfacht wird. Gerade der Polizei eröffnen sich dadurch Möglichkeiten, Straftaten besser aufklären zu können.

Dennoch ist Vorsicht geboten: Die Einstufung als besondere Kategorie personenbezogener Daten erfordert die Einhaltung strengerer Voraussetzungen aus Art. 9 Abs. 2 DS-GVO. Unter anderem ist eine Verarbeitung von biometrischen Daten nur möglich, wenn eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person vorliegt (Art. 9 Abs. 2 lit. a DS-GVO) oder wenn die Verarbeitung erforderlich ist, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die aus dem Arbeitsrecht oder dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben oder den daraus erwachsenden Pflichten nachkommen kann (Art. 9 Abs. 2 lit. b DS-GVO).

 

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