Wissen ist Macht – Mit dieser Devise würden viele Unternehmen gerne an wichtige Informationen gelangen, um sich im Wettbewerb besser positionieren zu können. Doch das geltende Kartellrecht verbietet dies überwiegend als wettbewerbsbeschränkende Kooperationen. Einige Ausnahmen bestehen dennoch.
Kollusion und Marktverschließung – Die wettbewerbsrechtlichen Bedenken bei Marktinformationssystemen
Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten des Informationsaustauschs. Inhaltlich können Faktoren wie Preis, Abdeckungsgebiete, Bezugsquellen, Umsätze oder Ähnliche erfasst sein. Organisatorisch kann der Austausch direkt zwischen den Wettbewerbern erfolgen oder indirekt über eine gemeinsame Einrichtung oder Dritte.
Das Problem: § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV verbieten bestimmte wettbewerbsbeschränkende Handlungen. Zu diesen können auch Marktinformationssysteme gehören, da sie den sogenannten Geheimwettbewerb ausschalten können, also die Unsicherheit der Unternehmen untereinander über den jeweils nächsten taktischen Schritt der Konkurrenz. Zudem gilt als ein weiterer kartellrechtlicher Grundsatz das Selbstständigkeitspostulat. Das bedeutet, Unternehmen sollen grundsätzlich autonome Entscheidungen treffen und auf eine Fühlungnahme untereinander verzichten. Bei Marktinformationssystemen besteht aber das Risiko, dass Unternehmen ihr Verhalten kollusiv aufeinander abstimmen. Wenn für sie Unsicherheiten am Markt beseitigt werden, könnten sie zum Beispiel ähnliche Erwartungen aufbauen oder Abweichungen durch Marktbegleiter überwachen. Das hätte jedoch Nachteile auf den Innovationswettbewerb, da die Unternehmen weniger in neue Entwicklungen investieren würden. Daneben könnten Unternehmen besser den Einstieg neuer Wettbewerber in den Markt verhindern oder diese sogar von dem Informationsaustausch ausschließen. Besonders dramatisch könnten die wettbewerblichen Nachteile sein, wenn die Teilnehmer des Informationsaustauschs die Kosten für nachgelagerte Märkte in die Höhe treiben.
Besonders wenn sich die Informationen auf Preise oder anderes konkretes Marktgeschehen beziehen, sind Marktinformationssysteme also bedenklich. Dasselbe gilt für Informationen, die nicht ohne weiteres verfügbar sind und die für den Wettbewerb zwischen den Unternehmen von Bedeutung sind. Beispiele: Aufträge, Lieferungen, Umsätze, Investitionen, Ausbauvorhaben, Infrastruktur.
Effizienzvorteile und Transparenz
Auf der anderen Seite können Marktinformationssysteme auch Vorteile haben. Zum Beispiel können die Preise oder andere wichtige Faktoren für die Marktteilnehmer transparenter gemacht werden. Die teilnehmenden Unternehmen können die Informationen dazu nutzen, ihre Produktionsvorgänge effizienter auszugestalten und die Vorteile ihren Nachfragern zukommen zu lassen. Außerdem lassen sich Suchkosten verringern, indem Anbieter und Nachfrager schneller zueinander finden. Bei einigen Produkten können Ressourcen oder Angebote besser verteilt werden, was zum Beispiel im Bereich Nahrung zu einer schnelleren Auslieferung verderblicher Ware führen kann.
Wenn die wettbewerblichen Vorteile die möglichen Nachteile überwiegen oder schon keine Möglichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung besteht, können Marktinformationssysteme ausnahmsweise im Rahmen einer Freistellung zulässig sein. Voraussetzungen sind Effizienzgewinne, das Informationssystem muss ferner angemessen sein und darf den Wettbewerb nicht ausschalten und schließlich müssen die Verbraucher von den Vorteilen profitieren. Bestimmte typisierte Fälle sind in sogenannten Gruppenfreistellungsverordnungen erfasst, die wichtigsten sind die Spezialisierungs-GVO (VO 1218/2010) und die F&E-GVO (VO 1217/2010). Soweit diese nicht gelten, bleibt noch die Möglichkeit einer Einzelfreistellung gemäß § 2 Abs. 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV. Effizienzgewinne lassen sich für Unternehmen zum Beispiel bei einer erforderlichen Produktionsoptimierung auf nachfragestarken Märkten darlegen. Ähnliches gilt bei Bestsellerlisten, die sogar als Qualitätsmerkmal zusätzlich wettbewerbsbegünstigende Wirkung haben können. Hilfreiche Informationen gibt hierzu die EU-Kommission in ihren Horizontal-Leitlinien (Ziff. 55 ff.).
Einige Beispiele, in denen Marktinformationssysteme unbedenklich sein können:
- Es werden nur Durchschnittswerte angegeben.
- Die Identifizierung einzelner Marktteilnehmer ist ausgeschlossen.
- Abstrakte Marktstatistiken, gemeinsame Marktforschung, Konjunktur- und Strukturanalysen.
- Branchenvergleiche.
Besonderheit: Staatlich veranlasster Informationsaustausch
Aufgrund der möglichen Vorteile existieren für einige Branchen sogar Ausnahmefälle, in denen ein Informationsaustausch staatlich veranlasst wird. Sehr interessant sind hier die Markttransparenzstellen für den Großhandel von Strom und Gas bei der Bundesnetzagentur (MTS Strom/Gas) sowie für Kraftstoffe beim Bundeskartellamt (MTS-K). In beiden Fällen sammelt die Stelle Daten von den am jeweiligen Markt tätigen Unternehmen ein und wertet diese im Hinblick auf mögliche Wettbewerbsrechtsverstöße aus. Die MTS-K gibt die Daten an zugelassene Verbraucher-Informationsdienste weiter, die den meisten wohl auch unter der Bezeichnung Benzinpreis-Apps bekannt sind. Aufgrund dieser aggregierten Informationen erhalten Verbraucher die Möglichkeit, die Preise an Tankstellen zu vergleichen und ihre Auswahl danach auszurichten.
In der Telekommunikations-Branche ist weiterhin der von der Bundesnetzagentur betriebene Infrastrukturatlas interessant. Hierbei handelt es sich um eine Datenbank mit Geodaten über bestehende Infrastrukturen. Die Behörde erhält diese Daten entweder auf freiweilliger Basis von den Unternehmen oder aufgrund einer angeordenten Lieferverpflichtung nach § 77a Abs. 3 TKG. Andere Unternehmen erhalten auf Antrag Einsicht in diese Informationen, wenn sie an Breitbandausbauprojekten beteiligt sind. In der Folge können sie zum Beispiel Mitnutzungsansprüche geltend machen, die in einem Verfahren nach § 77a Abs. 1, Abs. 2 TKG durchgesetzt werden können.
Autor: Sebastian Telle
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