Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte am 17.11.2016 (Az. 2 AZR 730/15) über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Busfahrers aus wichtigem Grund zu entscheiden. Hintergrund war der Einsatz eines Systems zur Kontrolle und Auswertung des Fahrverhaltens der angestellten Busfahrer, die sie zu einem ökonomischeren und umweltfreundlicheren Fahren anhalten sollten. Der betroffene Busfahrer verweigerte jedoch die Benutzung des Systems beharrlich, u.a. unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken.
Was versteckt sich hinter dem RIBAS-System?
RIBAS ist ein Gerät, das u.a. seit 2014 in den Bussen der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (Bogestra) installiert ist. Es zeigt mittels Warnleuchten an, wenn der Busfahrer unwirtschaftlich fährt, das heißt insbesondere zu schnell anfährt oder zu abrupt abbremst. Die Busfahrer sollen durch das Aufleuchten von Warnleuchten dazu angehalten werden, sein Fahrverhalten anzupassen und ökologischer und ökonomischer zu fahren mit dem Ziel dadurch Einsparungen (weniger Dieselverbauch, geringerer Bremsverschleiß, weniger Ansprüche der Fahrgäste durch Stürze) zu erreichen.
Ein Teil der Ersparnisse soll dabei an die Busfahrer ausgeschüttet werden, die am ökologischsten fahren. RIBAS „merkt“ sich deshalb den Fahrstil, der dann an einen Zentralcomputer gemeldet wird. Hierfür erhält jeder Fahrer einen Schlüssel, mit dem er sich vor Beginn der Fahrt an dem System anmelden muss. Fahrer, die nicht an personalisierten System teilnehmen wollten, erhalten einen anonymisierten Schlüssel, können dann aber auch nicht an der Bonus-Verteilung mitmachen. Außerdem besteht trotz eines anonymisierten Schlüssels die Möglichkeit einer Rückschlüsselung der aufgezeichneten Daten zu einem Fahrer über die Zuordnung der RIBAS-Daten zu den Einsatzplänen der Fahrer.Eine solche Rückschlüsselung findet aber nur nach entsprechender Betriebsvereinbarung statt, wenn es zu besonderen, zuvor festgelegten Auffälligkeiten gekommen ist.
Zu den Hintergründen der Klage
Der Käger war Busfahrer bei der beklagten Bogestra. Die Beklagte verwendet das RIBAS-System und forderte den Kläger dazu auf, zumindest den anonymisierten RIBAS-Schlüssel zu verwenden. Der Kläger war der Meinung, er müsse den Schlüssel nicht verwenden und weigerte sich trotz mehrfacher Gespräche und Abmahnungen. Daraufhin sprach die Beklagte eine außerordentliche Kündigung gegen ihn aus. Der Kläger klagte daraufhin im Wege einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung und beantragte außerdem, dass die Abmahnungen aus seiner Personalakte entfernt würden.
Die Entscheidung des BAG
Das Arbeitsgericht (ArbG) hatte im Sinne des Klägers entschieden und sowohl die Kündigung für unwirksam erklärt als auch festgestellt, dass die Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen seien. Nachdem das Landesarbeitsgericht (LArbG) zu Lasten des Klägers von der Entscheidung des Arbeitsgerichts abwich, zog der Kläger vor das BAG. Er beantragte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das BAG gab allerdings der Beklagten Recht und erklärte die Kündigung für wirksam. Für das Arbeitsverhältnis gilt der Spartentarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW). Gemäß § 20 Abs. 6 des TV-N NW ist eine Kündigung nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Es müssten also Tatsachen vorgelegen haben, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Laufzeit nicht zugemutet werden kann.
Das BAG sah hier in dem pflichtwidrigen Verhalten des Klägers einen wichtigen Grund, der die Beklagte zur Kündigung berechtigte. Der Kläger habe pflichtwidrig unterlassen, den für Fahrer, die nicht an dem personalisierten System teilnehmen, vorgesehenen anonymisierten RIBAS-Schlüssel zu verwenden. Die Pflicht zur Verwendung habe sich aufgrund der dahingehenden abgeschlossenen Betriebsvereinbarung aus § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG i.V.m. § 4 BV ergeben.
Und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Wer sich mit Datenschutz ein wenig beschäftigt hat, weiß: Daten, die in einem Fahrzeug erhoben werden, sind oftmals personenbezogene Daten des Fahrers. Sie geben Auskunft über das Fahrverhalten, die gefahrene Strecke und erlauben sogar Rückschlüsse auf Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Abweichungen vom üblichen Streckenverlauf. In diesem Zusammenhang macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen privat oder beruflich gefahreren PKW oder um einen zur Personenbeförderung gefahrenen Bus handelt. Das Erheben dieser Daten ist gem. § 4 Abs. 1 BDSG nur dann zulässig, wenn hierfür die Einwilligung des Fahrers vorliegt (im Arbeitsverhältnis schwierig und umstritten), eine gesetzliche Vorschrift oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt.
Anders wäre dies nur dann, wenn es sich um anonyme Daten handeln würde. Vorliegend kann auch bei der Verwendung eines anonymisierten RIBAS-Schlüssels die Anonymisierung ohne unangemessenen Aufwand aufgehoben werden, sodass es sich nicht um eine Anonymisierung im Sinne des Datenschutzrechts handelt, die die Anwendbarkeit des Datenschutzrechts ausgehebelt hätte.
Rechtfertigung durch § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG
Das BAG stützt die Zulässigkeit der Datenerhebung auf § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG und lässt sich bewusst nicht näher dazu aus, ob eine Betriebsvereinbarung eine andere Rechtsvorschrift i.S.v. § 4 Abs. 1 BDSG ist (obwohl dies inzwischen eigentlich geklärt ist: ist es, siehe auch Art. 88 Abs. 2 DSGVO und § 26 BDSG-neu). Danach dürfe und darf die Beklagte die Daten nur erheben und verarbeiten, wenn dies zur Begründung, Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist. Erforderlichkeit setzt ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Datenerhebung und -verarbeitung voraus, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren muss, das heißt im Zusammenhang mit der Erfüllung der vom Arbeitnehmer geschuldeten vertraglichen Leistung stehen muss.
Das berechtigte Interesse der Beklagten bestehe darin – so das LArbG und das BAG – dass die Busfahrer zu einer vorausschauenden und sparsamen Fahrweise angehalten werden sollen. Dies betreffe unmittelbar die geschuldete Arbeitsleistung und damit auch die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses. Darüber hinaus seien auch die Ziele der Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der Steigerung der Kundenzufriedenheit ökonomisch vernünftig und im ökologischen Interesse der Allgemeinheit und damit insbesondere nicht unbillig.
Neu ist das Konzept überdies nicht. In Flugzeugen werden schon seit geraumer Zeit sogenannte Flugdatenschreiber und Stimmenrekorder eingesetzt, die die Flugdaten und die Stimmen des Piloten und des Co-Piloten aufzeichnen. Aufgrund der gravierenderen Auswirkungen bei Unglücken und des immer präsenter werdenden Ziels der Terrorismusbekämpfung dürfte eine datenschutzrechtliche Zulässigkeit in diesen Fällen ebenfalls über § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG gegeben sein.
Verhältnismäßigkeit
Darüber hinaus darf die Datenerhebung und -verarbeitung auch keine übermäßige Belastung des Arbeitnehmers bedeuten, das heißt sie muss den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit standhalten. Es darf zur Erreichung des verfolgten Ziels also kein anderes, gleich wirksames, aber das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung stehen.
Ist das keine Dauerüberwachung?
Die Dauerüberwachung, z.B. mittels Videokameras, von Arbeitnehmern ist verboten. Ist denn die konstante Aufzeichnung des Fahrverhaltens nicht ebenfalls eine solche Dauerüberwachung? Das BAG verneinte dies. Anders als bei Videokameras werde das Verhalten der Busfahrer nicht in seiner Gesamtheit kontrolliert.
Fazit
Die Zulässigkeit des Einsatzes des RIBAS-Systems begründet sich insbesondere darin, dass das Fahrverhalten der Busfahrer Teil von deren Kerntätigkeit ist. Nachdem das BAG nun den Einsatz für zulässig erklärt hat, stellt sich die Frage, ob auch in anderen Berufen die Kerntätigkeit zukünftig mittels datenverarbeitender Software erfasst und ausgewertet werden darf und ob sich dem RIBAS-System vergleichbare Anwendungen und IT-Systeme auch für andere Fahrzeuge im Personenbeförderungsverkehr oder bei Fuhrparkbetreibern durchsetzen werden.
Haben Sie Fragen? Ihre Ansprechpartner sind Jana Garsztecki und Sascha Kremer.