Netzwerkdurchsetzungsgesetz – Verfassungswidrig? Unpräzise? Problematisch!

Zum 01.01.2018 ist das bereits vorab viel diskutierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wirksam geworden.

Sinn und Zweck des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers ein effizienteres Vorgehen gegen „Hate-Speech“ (im deutschen meist als Hass-Kommentare bezeichnet) auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken.

So heißt es in einer Presseerklärung des Bundesjustizministeriums vom 05.04.2017: „Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, Hasskriminalität und strafbare Falschnachrichten auf den Plattformen sozialer Netzwerke wirksamer zu bekämpfen“ (BMJ, Pressemitteilung vom 05.04.2017, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2017/04052017_NetzDG.html).

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird umgangssprachlich auch öfter als Facebook-Gesetz bezeichnet und soll, neben der zuvor dargestellten Intention auch der Verbreitung von sogenannten „Fake-News“ entgegenwirken. Im Ergebnis entspricht das Gesetz daher einer allgemein gültigen Compliance-Regelung für soziale Netzwerke, auf dessen Basis die Anbieter verpflichtet sind strafrechtlich relevante Inhalte zu entfernen, beziehungsweise zu blockieren nachdem ihnen diese durch ihre Nutzer zur Kenntnis gebracht wurden. Eine Überwachungspflicht sieht das Gesetz jedoch ausdrücklich nicht vor.

Der hiesige Beitrag soll kurz die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, sowie die Konsequenzen für Anbieter von sozialen Netzwerken aufzeigen und letztlich kritisch hinterfragen, ob eine solche Regelung „längst überfällig“ oder doch bloß „blinder Aktionismus“ war.

Entstehungsgeschichte

Spätestens seit dem Jahr 2015 und der in Folge internationaler Konflikte sprunghaft angestiegenen Anzahl an Immigranten schwelt in den sozialen Netzwerken – in erster Linie auf Facebook, aber auch auf Twitter – ein Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und strafrechtlich relevanten Äußerungen. In Kommentaren und Beiträgen fallen einige Benutzern verbal über diejenigen her, die schutzsuchend aus den Krisengebieten Afrikas und des nahen Ostens in die Europäische Union migrieren. Derartige Äußerungen mögen nicht neu sein, doch durch die sozialen Netzwerke erreicht ihre alltägliche Wahrnehmbarkeit ein neues Ausmaß. Kaum ein Benutzer eines sozialen Netzwerks wird in der jüngsten Zeit – ob gewollt oder ungewollt – nicht mit derartigen Äußerungen in Kontakt gekommen sein.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz richtete daher im Jahr 2015 eine Arbeitsgruppe zum Umgang mit strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken ein, in deren Folge einige Unternehmen freiwillige Selbstverpflichtungen zur Unterbindung von Hate-Speech abgaben. Letztendlich war das dem Gesetzgeber jedoch nicht genug. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu wörtlich „Die Selbstverpflichtungen der Unternehmen haben zu ersten Verbesserungen geführt. Diese reichen aber noch nicht aus. Noch immer werden zu wenige strafbare Inhalte gelöscht“ (BT-Drs. 18/12356).

Im Frühjahr 2017 stellte Bundesjustizminister Heiko Maas den Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vor. Dieser Entwurf wurde sowohl von Interessenverbänden, Bürgerrechtlern und Juristen als auch von Datenschützern kritisiert (dazu Guggenberger, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – schön gedacht, schlecht gemacht, ZRP 2017, 98 und Kalscheuer/Hornung, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – Ein verfassungswidriger Schnellschuss, NVwZ 2017, 1721). Viele Stimmen sehen in dem Gesetz eine staatliche Zensur, die sich nicht mit der in Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Meinungs- und Zensurfreiheit vereinbaren ließe.

Genutzt hat all diese Kritik wenig. Seit dem 01.01.2018 ist das Gesetz nunmehr anwendbar und Teil der deutschen Rechtsordnung.

Anwendungsbereich und Regelungsgehalt

Zunächst soll der Anwendungsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in den Blick genommen werden.

Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG kommt das Gesetz für alle

„Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (soziale Netzwerke)

zur Anwendung. Davon ausgenommen sind Plattformen mit journalistisch gestalteten Inhalten sowie Plattformen mit weniger als 2 Mio. registrierten Nutzern im Inland.

§ 2 NetzDG regelt eine halbjährliche Berichtspflicht für die Anbieter von sozialen Netzwerk, in deren Rahmen unter anderem dargelegt werden soll, wie viele Beschwerden über rechtswidrige Inhalte eingegangen sind und wie mit diesen verfahren wurde.

§ 3 NetzDG stellt konkrete Anforderungen an den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte. Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 NetzDG verpflichtet ein „wirksames und transparentes“ Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorzuhalten. Im Rahmen dieses Verfahrens muss der Anbieter gewährleisten, dass

offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt werden oder der Zugang zu ihnen gesperrt wird

und

rechtswidrige Inhalte unverzüglich, in der Regel innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt oder der Zugang zu ihnen gesperrt wird.“

In § 4 NetzDG finden sich schließlich Bußgeldvorschriften, die jeweils dann zur Anwendung gelangen sollen, wenn der Anbieter gegen seine Ihm obliegenden Pflichten aus dem NetzDG verstößt. Die Regelungen machen deutlich, dass es dem Gesetzgeber mit seinem Anliegen „Hate-Speech“ zu unterbinden mehr als ernst ist.

§ 5 NetzDG statuiert die Pflicht zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten im Inland. Eine Regelung, die mit der des Art. 27 DS-GVO (Datenschutzgrundverordnung) vergleichbar ist, wonach Unternehmen außerhalb des territorialen Geltungsbereichs der DS-GVO einen inländischen Vertreter zu benennen haben. Vorliegend sollte man jedoch berücksichtigen, dass die Benennungspflicht im Rahmen des NetzDG jeden von § 1 NetzDG erfassten Telemediendiensteanbieter betrifft.

Kritik

Das augenscheinlich mit heißer Nadel gestrickte Netzdurchsetzungsgesetz bietet mannigfaltigen Raum für Kritik.

Aufhorchen lässt zunächst die Tatsache, dass der Gesetzgeber damit nun erstmals eine rechtlich verbindliche Definition (eine sogenannte Legaldefinition) für den Begriff des sozialen Netzwerks geschaffen hat. Diese Definition ist dabei deutlich weiter gefasst, als die bisher, beispielsweise im Rahmen der Informatik oder der Psychologie verwendeten Begriffe. Beide Wissenschaften stellen den Interaktions- und Vernetzungsgedanken zwischen den einzelnen Nutzern in den Vordergrund, während das NetzDG maßgeblich auf das Teilen und Veröffentlichen von Inhalten abstellt. Diese Definition dürfte im Ergebnis zu weitgreifend sein.

Ein soziales Netzwerk ist grundsätzlich etwas anderes als eine Plattform zum Teilen von Inhalten. Es lebt und definiert sich vielmehr über den Diskurs seiner Mitglieder untereinander und von deren Interaktion. Wollte man die Definition des § 1 Abs. 1 NetzDG heranziehen, so wären auch all jene Telemediendienste erfasst, die nach einer Registrierung durch einen Benutzer das Veröffentlichen von Inhalten zulässt, also beispielsweise auch Betreiber von großen Blognetzwerken wie WordPress.com oder Websitehoster beziehungsweise Websitebaukästen wie Wix.com. Denn journalistisch gestaltet sind in einem solchen Fall ausschließlich die Beiträge einzelner Nutzer auf deren Blogs/Websites und nicht etwa der Telemediendienst selbst.

Ob ein solches Verständnis dem erklärten Ziel des Gesetzgebers dient ist zweifelhaft. Vielmehr besteht hier die Gefahr, dass Anbietern auf Zuruf Prüfpflichten auferlegt werden die nur schwerlich zu leisten sind und es im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit kommt.

Auch der Rückgriff auf eine Gewinnerzielungsabsicht ist zumindest unglücklich. Nur weil ein Anbieter die Absicht hat mit einem sozialen Netzwerk Gewinne zu erzielen heißt es nicht, dass dies auch automatisch möglich ist. Vielmehr haben gerade die letzten Jahre gezeigt, dass selbst Facebook erhebliche Probleme hat seine Nutzerzahlen zu monetarisieren.

Die Freistellung von den Verpflichtungen des NetzDG an den inländischen Benutzerzahlen eines sozialen Netzwerks auszurichten, insbesondere an einer Kenngröße von 2 Mio. registrierten Nutzern scheint – gerade vor dem Hintergrund der Gewinnerzielungsabsicht – nicht sachgerecht. StartUps (die nach der Gesetzesbegründung hier geschützt werden sollen) können schnell Benutzerzahlen von 2 Mio. erreichen, ohne dass Umsätze, geschweige denn signifikante Gewinne im Raum stehen. Das NetzDG wäre dann nicht nur ein Instrument unzulässiger staatlicher Zensur, sondern gleichzeitig auch eine Innovationsbremse.

Auch der Inlandsbezug des § 1 Abs. 2 NetzDG ist misslungen. Es stellt sich bereits die Frage, wie im Ergebnis ermittelt werden soll, wie viele Nutzer tatsächlich im Inland registriert sind, da in der Gesetzesbegründung insoweit auf den Sitz der Benutzer abgestellt wird (BT-Drs. 18/12356). Gerade in Grenzfällen, also wenn es um 1000 Benutzer hin oder her geht wird dies zu erheblichen Schwierigkeiten führen.

Doch gehen wir hier einmal, unabhängig davon, dass sich diese Interpretation gerade nicht mit dem Wortlaut des NetzDG deckt davon aus, dass die Normen tatsächlich nur auf die großen sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter, Youtube oder Instagram anwendet werden. Dann stellt sich doch relativ schnell die Frage, wie den Anbietern von sozialen Netzwerken die Beurteilung gelingen soll, ob ein „Hass-Kommentar“ einen der in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Straftatbestände erfüllt. Dies umso mehr vor dem Hintergrund, dass die in Frage kommenden Straftatbestände allesamt dem Bereich des Schutzes des demokratischen Rechtsstaats, der öffentlichen Ordnung, der persönlichen Ehre und der sexuellen Selbstbestimmung entstammen, mithin schwierig und nur nach einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen sind. Man denke in diesem Zusammenhang an die ausdifferenzierte Rechtsprechung der Gerichte rund um die Themen Ehrenschutz und Äußerungsrecht.

Wie eine solche Prüfung von „Communitymanagern“ eines Telemediendiensteanbieters geleistet werden soll, die in der Regel keine Juristen und erst Recht keine Strafrichter sind bleibt schleierhaft. Man darf annehmen, dass die Anbieter hier zukünftig eher „auf Nummer sicher“ gehen und im Zweifel rechtmäßige Inhalte entfernen oder den Zugang zu Ihnen sperren werden um nicht Gefahr zu laufen wegen eines unwirksamen oder nicht transparenten Verfahrens nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 NetzDG mit einem Bußgeld belegt zu werden.

Das daraus resultierende „Overblocking“ von Inhalten ist letztendlich ein Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit, zumindest aber gegen die gewünschte Meinungsvielfalt. Das auch der unbestimmte Rechtsbegriff des „offensichtlich rechtswidrigen Inhalts“ aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG nur schwerlich zu greifen ist, wird so beinahe zur Nebensache.

Abschließend verdient auch die, ebenfalls bußgeldbewährte Benennungspflicht für einen Inlandsvertreter Kritik. Vielen Diensteanbietern wird im Hinblick auf die unglückliche Definition eines sozialen Netzwerks häufig gar nicht bewusst sein, dass sie eine Benennungspflicht trifft.

Fazit

Es wird deutlich, dass das NetzDG zwar grundsätzlich den richtigen Intentionen folgt, in seiner jetzigen Gestalt aber wohl kaum Bestand haben wird. So bringt es Guggenberger hervorragend auf den Punkt wenn er schreibt: „In der Gesamtschau bringt das Gesetz einen „Chilling Effect“ mit sich, der mit dem Schutz der persönlichen Ehre oder anderer Rechtsgüter nicht mehr zu rechtfertigen ist. Den in der Tat problematischen rechtswidrigen oder gar strafbaren Inhalten könnte grundrechtsschonender und mindestens gleich effektiv durch eine Stärkung von Strafverfolgung und Eilrechtsschutz begegnet werden.“ (Guggenberger, Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – schön gedacht, schlecht gemacht, ZRP 2017, 98).

Auch die Tatsache, dass das NetzDG Russland und Weißrussland als Vorbild für eigene Gesetzesentwürfe dient sollte zu denken geben. Lob von Staaten, die ein zumindest zweifelhaftes Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit haben sollten nicht unbedingt als Gradmesser für die Qualität entsprechender deutscher Regelungen gelten.

Sollten Sie unsicher sein, ob das NetzDG Auswirkungen auf Ihr Angebot hat stehen wir Ihnen gerne zur Seite.

Unsere Ansprechpartner finden Sie hier.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar zu OLG Karlsruhe: „Hassrede“ berechtigt Facebook zur Kommentarlöschung und Sperrung des Absenders – Kremer Rechtsanwälte Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.